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Newsletter vom 25. 4. 2021

Auch in der Pädagogik führen viele Wege nach Rom

Der Lehrerberuf kennt eine Reihe von nur schwer kalkulierbaren Herausforderungen. Berufseinsteiger merken bald, dass Kinder und Jugendliche sich oft nicht so verhalten, wie man es gerne hätte. Für einige ist diese Erfahrung eher beängstigend, andere lieben das Unvorhergesehene und sind fasziniert, ihre ganze Improvisationskunst zum Erreichen der Bildungsziele einsetzen zu können.

In unserem Startbeitrag vergleicht Carl Bossard dieses tägliche Suchen nach dem geeigneten Weg im Unterricht mit einem Orientierungslauf. Das Ziel des nächsten Postens ist bekannt, doch die Routenwahl in anspruchsvollem Gelände bedeutet stets ein intensives Abwägen der Möglichkeiten. Beim OL wie im Unterricht muss man mit Hindernissen und Überraschungen rechnen. Dynamischer Klassenunterricht kann durchaus halbchaotische Phasen haben, ohne gleich aus dem Ruder zu laufen.

Für gefestigte Lehrpersonen bedeutet dieses häufige situative Entscheiden zugunsten des besten Wegs eine bereichernde Herausforderung. Der Dialog mit jungen Menschen während eines Lernprozesses bleibt ein Abenteuer. Doch genau darin liegt die Attraktion dieses erfüllenden Berufs.

Verbindlich beim Auftrag, frei in der Wahl des Weges

Chaotisch würde es allerdings, wenn die Zielvorgaben im Unterricht verschwommen wären. Eine Lehrerin muss erfüllt sein vom Bildungsziel, das sie erreichen will. So wie die OL-Läuferin das Gelände bis zum nächsten Posten aus dem Kartenbild erfasst, muss die Lehrerin den zu vermittelnden Stoff gründlich kennen. Es kommt aber noch etwas Zweites dazu: Sie muss ebenso erkennen, welche psychologischen Voraussetzungen bei den Lernenden aktuell berücksichtigt werden müssen. Dieses auf zwei Koordinaten ausgerichtete Verstehen eines Lernprozesses lässt Pädagogik nie zur Routine werden.

Carl Bossards Beitrag ist ein fundiertes Plädoyer für die Methodenfreiheit. Detailversessene Anweisungen, wie sie teilweise im neuen Lehrplan zu finden sind, helfen in der Unterrichtspraxis wenig. Lehrpersonen benötigen volle Freiheit im methodischen Bereich und nicht einengende Vorgaben. Ein klar definierter Auftrag bleibt dabei verbindlich, aber kleinkariertes Abhaken von Kompetenzschritten ist keinesfalls der Weg, um ein Unterrichtsklima für erfolgreiches Lernen zu schaffen.

Lehrerinnen und Lehrer sind keine Ausführenden von Programmen

Je weiter weg Bildungsplaner von der Schulrealität sind, desto eher glauben sie an exakt messbare Abläufe im Bildungsprozess. Dabei blenden sie gerne aus, dass ein grosser Teil des Bildungsgeschehens sich einfachen Messmethoden entzieht. Kompetente Pädagoginnen und Pädagogen wehren sich zu Recht, nur Ausführende von Lernprogrammen zu sein. Doch wie ernsthafte Konflikte in manchen Schulen zeigen, sind methodische Freiheiten trotz gegenteiliger Beteuerungen längst nicht mehr selbstverständlich. Für junge Lehrpersonen ist es besonders schwierig, sich vom aktuellen Planungswahns nicht erdrücken zu lassen. Stattdessen würde man ihnen besser zurufen: «Habt nicht Angst, mutig zu sein und konzentriert euch auf wesentliche Bildungsziele!»

Rolle der Klassenassistenzen gibt zu reden

Höchst interessante Fragen kommen auch in einer Studie der PH St. Gallen über die Klassenassistenzen zur Sprache. Die Autorinnen haben sich differenziert mit deren Rolle auseinandergesetzt und ihre Wirkung auf das Unterrichtsgeschehen untersucht. Die Studie hält fest, dass Assistenzen in vielen Fällen den Lehrpersonen eine Entlastung bringen. Geeignete Assistenzen können auch ohne Lehrberechtigung langsam Lernenden wirkungsvolle Unterstützung bieten, sofern es sich nicht um komplexe Aufgaben handelt. Heikel wird es jedoch in Bereichen, wo es um Verhaltensauffälligkeiten von Schülern geht oder pädagogisches Fachwissen erforderlich ist. Die Autorinnen sehen deshalb klare Grenzen für den Einsatz von Klassenassistenzen und warnen vor zu hohen Erwartungen an diese neue Form der Unterstützung für Klassenlehrpersonen.

Unterstützung einer Petition betreffend Stadtzürcher Tagesschulen

Ohne ein Thema mit politischer Brisanz geht es auch diesmal nicht. Verantwortlich dafür ist der Zürcher Stadtrat, der bei den freiwilligen Tagesschulen für unnötige Spannungen sorgt. Mit den geplanten kurzen Mittagszeiten nehmen die Verantwortlichen in Kauf, dass für einen Teil der Kinder das Mittagessen im Familienkreis zur einer hektischen Angelegenheit wird. Zu Recht monieren Eltern, dass sie dem Tagesschulmodell wohl nicht zugestimmt hätten, wenn sie rechtzeitig von diesem massiven Eingriff in die Privatsphäre einer Minderheit gewusst hätten. Wir schliessen uns dem Protest betroffener Eltern einhellig an und laden Sie ein, die diesem Newsletter beigefügte Petition zu unterstützen.

Berufswahlanliegen und Reform der Matur

Wenig Fingerspitzengefühl zeigen zurzeit auch Lehrfirmen, welche eine immer frühere Selektion bei der Auswahl von Jugendlichen für anspruchsvolle Berufslehren vornehmen. Neu werden Lehrstellen bereits ab 1. April für Jugendliche der zweiten Oberstufe im offiziellen Lehrstellenverzeichnis ausgeschrieben. Das ist nicht etwa ein Aprilscherz, sondern bittere Tatsache. Lehrerverbände und Berufsberater kritisieren diese unsinnige Entwicklung scharf. Sie weisen darauf hin, dass die allermeisten Jugendlichen mit 14 Jahren noch mitten im Berufswahlprozess stehen und überhastete Entscheide fatale Folgen haben können.

Möchten Sie zum Schluss noch einen Blick in die etwas entferntere Bildungszukunft werfen? Dann werden Sie im Beitrag über die Reform der gymnasialen Matur vermutlich zur Erkenntnis gelangen, dass eine lange Diskussion um einen verbindlichen Fächerkatalog und wohl auch um Maturaquoten bevorsteht. Freuen können wir uns hingegen, dass der Zürcher Bildungsrat beschlossen hat, das Angebot an nichtgymnasialen Mittelschulen auszubauen. Diese sind mit ihrem stärkeren Bezug zur Wirtschaft und zu den Pflegeberufen eine gute Alternative zum Gymnasium.

Wir wünschen Ihnen viel Spass und neue Erkenntnisse bei der Lektüre.

Redaktion Starke Volksschule Zürich

Hanspeter Amstutz