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Newsletter vom 11. 4. 2021

Vom Familien-Literaturclub bis zur Lernstube für Erwachsene – es gibt immer eine Chance

Im vorliegenden Newsletter finden Sie verschiedene Ansätze, an Fragen rund um die Schule und die Erziehung heranzugehen. Um bei der Lektüre die Orientierung zu behalten, empfiehlt es sich, als roten Faden einige pädagogische Kernpunkte dabeizuhaben: Wir Erwachsenen haben die Aufgabe, den jungen Menschen die Welt zu zeigen, sie beim Lernen anzuleiten, ihnen über Klippen hinwegzuhelfen, echte Freude an ihren positiven Schritten zum Ausdruck zu bringen, auf negatives Verhalten adäquat zu reagieren.

«Ohne Frau Mirjam könnte ich das nicht»

Auch in dieser Ausgabe freuen wir uns über Carl Bossards wertvolle pädagogische Gedanken, diesmal zur Bedeutung des «Wie», zum Beispiel wenn wir Kinder zum Lesenlernen gewinnen wollen. Als gelungenes Lese-Unternehmen stellen wir den «Familien-Literaturclub» von Rita Angelone an den Anfang – eine Freude, wenn das in einer Familie gelingt. Auch unser Schlusspunkt («Ich habe gemerkt, dass ich verloren bin») zeigt ein ermutigendes Beispiel, diesmal eines Berufsmannes, der einige Jahre vor der Pensionierung seine Stelle verliert und merkt, dass seine sprachlichen Grundlagen nicht reichen, um eine Bewerbung zu schreiben. In der Lernstube fasst er mit Hilfe seiner Lehrerin neuen Mut: «Ohne Frau Mirjam könnte ich das nicht» – heute noch nicht, aber morgen will er es selbst können. Von dieser konstruktiven Art, Schwierigkeiten anzupacken und zu meistern, könnte sich die Literaturstudentin, deren Leben aus «60 Prozent Sinnlosigkeit, 30 Prozent Langeweile, 10 Prozent Social Media» besteht, eine dicke Scheibe abschneiden. Ob sie schon einmal daran gedacht hat, dass Berufsleute wie Drago Dragicevic, die ihr Leben lang arbeiten und Steuern bezahlen, ihr Studium ermöglichen? Wie wäre es, wenn sie mithelfen würde, junge oder ältere Menschen mit Sprachdefiziten ins Lesen und Schreiben einzuführen? Eine sinnvolle Methode, um Langeweile und Sinnlosigkeit loszuwerden.

"Kinder sind keine Betonröhren und Schulen keine Abstellplätze"

Damit schlagen wir den Bogen zum Interview mit dem britischen Journalisten David Goodhart in der «WELT», das wir im Condorcet-Blog gefunden haben («Wir produzieren zu viele Akademiker für Jobs, die es nicht mehr gibt»). Interessant sind seine Beobachtungen, dass die steigende Hochschulquote sich auf Produktion und Innovation eher negativ ausgewirkt hat. Allerdings lässt Goodhart sich zuweilen zu Äusserungen hinreissen, die zeigen, dass ihm die duale Berufslehre und die kenntnisreichen, klugen Handwerker, die sie hervorbringt, offenbar fremd sind: «… viele der Kopfarbeiter heute vollziehen Routinearbeiten und sind nicht fähiger als viele Handarbeiter.» Oder weniger fähig?

Zur merkwürdigen Idee, mit Hilfe von Algorithmen(!) «Schulen besser (zu) durchmischen», indem man Schulkinder gemäss komplizierten Berechnungen auf andere Schulen verteilt, weisen wir auf die deutlichen Antworten der drei Leserbriefschreiber hin: «Kinder sind keine Betonröhren und Schulen keine Abstellplätze», so unser geschätzter Kollege Hans-Peter Köhli.

KV-Reform - so nicht!

René Donzés Bericht über die laufende KV-Reform («Smalltalk statt Fremdsprache: KV steht vor grossem Umbau») ist zu entnehmen, dass die Reformer offensichtlich nichts aus der Bildungsmisere des Lehrplan 21 gelernt haben. Sie wollen doch tatsächlich anstelle der Schulfächer «Handlungskompetenzbereiche» einführen! Eine Fremdsprache (Französisch?!) soll als Pflichtfach abgeschafft werden und statt einem Deutschunterricht, der diesen Namen verdient, würden die Schülerinnen das Führen von «anspruchsvollen Beratungs- und Verhandlungsgesprächen» und Ähnliches lernen. Als ob Gesprächsführung losgelöst vom Inhalt gelernt werden könnte! Selbstverständlich muss ein KV-Lehrling sich zuerst umfassendes Wissen und Berufserfahrung aneignen, bevor seine Ausbildnerin ihn für Kundengespräche einsetzen kann. Gegen den geplanten Abbau der qualitativ hochstehenden KV-Ausbildung müssten die Lehrbetriebe sich lautstark wehren – oder versprechen sie sich etwa von der «Kompetenzorientierung» bessere Lernerfolge? Was können wir zur Verhinderung dieses schwerwiegenden Irrtums beitragen?

Schulen als sozialen Lebensraum des Miteinanders und gemeinsamen Lernens gestalten

Sehr lehrreich ist der Artikel des Informatik-Experten Ralf Lankau («Was sich aus Unterricht im Coronamodus lernen lässt»). Er führt verschiedene Studien an, die belegen, dass die allermeisten Tätigkeiten von Lehrkräften in der Volksschule nicht automatisierbar sind. Aus der Tatsache, dass viele Schüler im Fernunterricht nicht so gut vorangekommen sind, schliesst Lankau, man sollte beträchtliche Mittel in die Bildung statt in die Digitalisierung stecken, das heisst in den Schulen mehr Stellen schaffen. Das Wichtigste, was aus dem Fernunterricht zu lernen sei, so Lankau zum Schluss: «Der Mensch ist ein soziales Wesen und kann sich nur in Gemeinschaft sozialisieren. Daher müssen wir Schulen viel stärker als einen sozialen Lebensraum des Miteinanders und gemeinsamen Lernens gestalten, statt Kinder und Jugendliche immer früher an Rechner zu vereinzeln." Ganz meine Meinung.

Nun haben Sie die Wahl, im Newsletter zu blättern und zu lesen. Wir wünschen anregende Lektüre!

Redaktion Starke Volksschule Zürich

Marianne Wüthrich