Springe zum Inhalt

Newsletter vom 14. 2. 2021

Was braucht ein Kind, um seine Lebensaufgaben bewältigen zu lernen?

Liebe Leserinnen und Leser

In Pandemiezeiten haben sich die Diskussionen darüber, was gut ist für die Kinder und was ihnen schadet, vervielfacht. Das kommt auch in der vorliegenden Textauswahl zum Ausdruck.

Sind Hausaufgaben sinnvoll, oder vergrössern sie die Schere zwischen den zu Hause geförderten Kindern und denjenigen, die allein zurechtkommen müssen? Soll die Maskenpflicht auch für jüngere Schüler in Betracht gezogen werden – oder ist doch eher ein teilweiser Fernunterricht angesagt? Was tun gegen die zunehmenden psychischen Probleme bei Kindern, die schon in "normalen" Zeiten auf unsicheren Beinen im Leben stehen?

Das Leben ist keine Playstation

Auf alle diese Fragen finden sich leichter Antworten, wenn wir ab und zu innehalten und uns die Kernfrage vergegenwärtigen: Was braucht ein Kind, damit es aus der naturgegebenen Abhängigkeit von seinen Bezugspersonen herauswachsen und die Aufgaben des Lebens Schritt für Schritt selbständig anzupacken und zu bewältigen lernt? Deshalb stellen wir den Artikel von Eliane Perret an den Anfang, als Anregung (oder Bestätigung) für die Ausrichtung unseres pädagogischen Kompasses an den Anforderungen der Realität. "Das Leben gestaltet sich nicht wie an einer Playstation", schreibt sie. "Es gibt Herausforderungen, denen man sich stellen muss. Man muss sich überwinden, etwas zu tun oder eben gerade nicht zu tun."

Auch die Schule ist keine Playstation, ob mit oder ohne digitale Hilfsmittel, ob in Zeiten der Krise oder in normalen Zeiten. Das Lernen kann sehr anstrengend sein. Das gilt auch für die Hausaufgaben: Sie öffnen ein Fenster zur Schule und sind deshalb wichtig, sagt uns Carl Bossard, sollen aber regelmässig und kurz sein, also nicht entmutigend. Trotzdem ersparen sie dem Kind die Anstrengung nicht – erinnern Sie sich an den Ruck, den wir uns manchmal geben mussten, um uns dranzusetzen, wenn draussen die Sonne schien? Das hat uns gelehrt, dass man im Leben nicht immer tun kann, wozu man gerade Lust hat, und es hat zur Reifung unserer Persönlichkeit beigetragen.

Dem Kind die Überwindung der Hürden zutrauen

Glücklich das Kind, dessen Eltern und Lehrer ihm die Hürden im Leben nicht wegzuzaubern versuchen, sondern ihm deren Überwindung zutrauen. Jede bewältigte Schwierigkeit trägt zur Stärkung des Selbstvertrauens bei und schafft auch Raum im Gemüt, um sich trotz Corona die lebenswichtigen Kontakte mit Gleichaltrigen einzurichten. Oder um weniger Glücklichen beizuspringen, wie es im letzten Frühling zahlreiche junge Menschen getan haben, die für ihre älteren Nachbarn einkaufen gingen. Ein eindrückliches Beispiel ist die junge Südkoreanerin Yuna, die heute in der Schweiz lebt und ihr eigenes Glück anderen weitergeben möchte, indem sie sich zu ihrem Geburtstag statt Geschenken Spenden für das IKRK wünscht.

Die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm weist darauf hin, dass sogar der "Dichtestress" mit Homeoffice und Homeschooling in den Familien seine guten Seiten hat: Die Kinder müssten nämlich lernen, dass sich nicht immer alles um sie dreht, sondern dass sie sich selbst beschäftigen müssen, weil die Eltern sich zu Hause auf ihre Arbeit konzentrieren müssen. Damit erfahren sie übrigens gleichzeitig, dass die neuen Jeans und die Turnschuhe, und was sie sonst alles von den Eltern bekommen, von diesen mit Arbeit verdient werden muss.

Maskenpflicht oder teilweiser Fernunterricht?

Die heutige Situation in den Schulen ist sicher kein Zuckerschlecken. Dies kommt im Artikel von Nils Pfändler und Lena Schenkel über die Zunahme psychischer Probleme von Schulkindern zum Ausdruck. Die positiven Testergebnisse von Schülern und Lehrern und die darauffolgende Quarantäne oder der zeitweise Ausfall des Unterrichts ist für alle Beteiligten nicht einfach. 

Auch dies ist eine der Herausforderungen, die das Leben stellt. Was tun? Die Zürcher Bildungsdirektion hat das Recht der Kinder auf Präsenzunterricht höher gewichtet als die Einschränkungen durch das Maskentragen, unterstützt durch die Vereinigung der Kinderärzte, die das Maskentragen für Primarschüler als "medizinisch unbedenklich" erachtet. Trotzdem werden Unterschriften für eine Petition gegen die Maskenpflicht gesammelt. Yasmine Bourgeois begründet dies damit, dass viele Kinder mit den Masken nicht richtig umgehen könnten. Das trifft sicher zu, übrigens auch bei vielen Erwachsenen – schauen Sie sich einmal um! Es ist sehr verständlich, dass die Eltern und Lehrer die besten Lösungen für ihre Schulkinder suchen. Die Frage ist nur: Sind häufiger Schulausfall und Quarantänen oder gar die Wiedereinführung des Fernunterrichts nicht schlechtere Alternativen zum Maskentragen?

Zur Frage des Fernunterrichts schreibt Staatsrechtsprofessor Andreas Glaser, dass das Verbot des Präsenzunterrichts an sämtlichen Schulen gegen den Anspruch jedes Kindes auf Unterricht (Artikel 19 BV) verstosse. Dem ist allerdings entgegenzusetzen, dass der Bundesrat in Krisenzeiten berechtigt und verpflichtet ist, geeignete Massnahmen zu ergreifen. Das derzeit geltende Versammlungsverbot für mehr als eine Handvoll Menschen oder das Verbot, Geschäfte und Restaurants offenzuhalten, sind im Prinzip auch verfassungswidrig, aber als Notrecht für eine beschränkte Zeit müssen sie zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zulässig sein.

Einen erfrischenden Kommentar zum Fernunterricht lesen wir bei Condorcet. Annemarie Aeschbacher hat natürlich recht: Es kommt immer darauf an, wie die Lehrerin die Beziehung mit den einzelnen Kindern aktiv gestaltet. Natürlich ist Präsenzunterricht besser, aber viele unserer Lehrer und Lehrerinnen haben im Frühjahr 2020 Bewundernswertes geleistet, um den persönlichen Kontakt mit ihren Kindern aufrechtzuerhalten.

Wie bekommen Jugendliche Freude am Lesen?

Den Abschluss unseres Newsletters bildet wieder einmal das grundlegende Thema Lesen. Mit Recht kritisiert Mario Andreotti die "Leichte Sprache" als fragwürdiges Zementieren der Tatsache, dass viele Schulabgänger in neun Jahren Volksschule keinen genügenden Deutschunterricht hatten und deshalb mangelhafte Lese- und Schreibfähigkeiten ins Leben hinaustragen.

Als herrlichen Kontrapunkt dazu erzählt uns die Wiener Lehrerin Melisa Erkurt, wie sie ihren Teenagern, darunter vielen Migrantenkindern, die Freude am Lesen hinübergebracht hat. Lesen Sie selbst – da geht einem das Herz auf.

Redaktion Starke Volksschule Zürich

Marianne Wüthrich