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Newsletter vom 20.12.2020

Neustart nach Corona als Chance für die Schule

Das Wesentliche liegt oft ganz nah

Starke innere Bilder können uns helfen, Durststrecken auszuhalten. Dieses Jahr haben wohl viele erfahren, welche Bilder und Vorstellungen uns Gelassenheit und Stärkung vermitteln. Mit dem besinnlichen Beitrag von Carl Bossard über ein Mädchen, das zu einem Schmetterling Sorge trägt, setzen wir gleich am Anfang einen Akzent, der uns daran erinnert, was im Leben von Bedeutung ist. Es ist nicht primär das grosse Bildungsprogramm, das Pädagogik Tiefgang gibt. Es die Achtsamkeit, die vertiefende Auseinandersetzung mit wesentlichen Dingen, die junge Menschen beflügelt und erfüllt.

Am Ende eines Jahres zieht man Bilanz, was es gebracht hat. 2020 wird zweifellos als aussergewöhnliches Krisenjahr in die Geschichte eingehen. Auch die Schule war davon stark betroffen. Wir erinnern uns an den Fernunterricht, der von den Lehrerinnen und Lehrern mit einem grossen Aufwand und organisiert und mit viel Geduld durchgeführt wurde. Doch am Schluss zeigte sich, dass trotz aller Anstrengungen der Lerneffekt vor allem in der Primarschule sehr bescheiden war.

Corona macht schulische Dauerbaustellen wieder zum Thema

Auf der anderen Seite wurde uns bewusst, wie wichtig ein guter Präsenzunterricht ist. Das gemeinsame Lernen in einer Klassengemeinschaft bekam mit einem Mal wieder einen ganz anderen Stellenwert. Nicht die neuste digitale Technik ist entscheidend, wenn es um den Lernfortschritt geht. Vielmehr spielen lebendige direkte Instruktion, das spürbare Engagement einer Lehrpersönlichkeit im Schulzimmer und motivierendes Ermutigen im Unterricht eine entscheidende Rolle. Kaum jemand sprach in diesen Tagen von den vielen Kompetenzzielen des neuen Lehrplans, die erreicht werden sollten. Man war froh, wenn es einer Lehrerin überhaupt gelang, unter all den erschwerten Bedingungen ihre Klasse bei einigen wichtigen Themen bei Laune halten zu können.

Weit spannender als der Blick auf die vielen zerbrochenen Scherben des Coronajahrs ist das Vorwärtsschauen in die schulische Zukunft. Es gilt nun, nach den gemachten Erfahrungen klare Prioritäten bei den nächsten Schritten zu setzen. Wer mit Lehrpersonen spricht, kommt zum Schluss, dass sich in der Bildungspolitik einiges ändern muss, damit das Schulschiff wieder volle Fahrt aufnehmen kann. Die Coronakrise hat die bereits bekannten schulischen Defizite grell ins Licht gerückt und weitere Schwächen aufgezeigt. So war es alles andere als überraschend, dass verhaltensauffällige Schüler im Fernunterricht als erste abgehängt und schwächere Schüler zuhause kaum etwas Neues gelernt haben. Schon fast verzweifelt wurde angeregt, man solle für diese Schüler Fernlern-Gruppen mit spezieller Betreuung durch eine Heilpädagogin anbieten.

Überfüllter Lehrplan erweist sich als schwacher Bildungskompass

Wie sehr stark verhaltensauffällige Schüler, integriert in reguläre Klassen, zu schweren Belastungen der Lehrpersonen führen, wurde durch Corona nun auch vielen Aussenstehenden bewusst. Schulintern ist das Problem seit Jahren bekannt, doch es wird von den Bildungsverantwortlichen wie eine heisse Kartoffel behandelt. Ein anderer grosser Schwachpunkt betrifft das überladene Bildungsprogramm des neuen Lehrplans. Mit seiner Fülle an Kompetenzerwartungen hat sich der im Voraus gerühmte Bildungskompass in keiner Weise als hilfreich erwiesen. Halb verzweifelt jagen Lehrer auf der Mittelstufe den vielen Bildungszielen in den drei Sprachen nach und merken, dass sie aus dem Halbbatzigen nur herauskommen, wenn sie ganz vieles radikal über Bord werfen. Weiter zeigte sich mit aller Deutlichkeit, dass die viel gepriesenen didaktischen Konzepte des Selbstlernens bei einem Grossteil der Schüler völlig unbefriedigende Resultate ergeben.

Inakzeptabler Abbau beim Deutschunterricht

Die Starke Schule beider Basel hat in einer grossen Umfrage wissen wollen, wie sich aus Sicht erfahrener Lehrpersonen das Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler in den letzten Jahren verändert hat. Das Resultat der Umfrage dürfte ein ziemlicher Schock sein für all die Didaktiker, die das Selbstlernen ins Zentrum der pädagogischen Bemühungen stellen wollen und die Lehrerrolle in der Begleitfunktion sehen. Die Umfrage bestätigt einmal mehr, dass ein deutlicher Abbau bei den Grundkompetenzen feststellbar ist.

Gleich zwei gewichtige Beiträge in unserem Newsletter befassen sich mit dem fehlenden Basiswissen und den ungenügenden Grundkompetenzen der neuen Schülergeneration in der deutschen Sprache. Anna Kardos fordert mehr mentales Training und eine Aufwertung sinnvoller Gedächtnisleistungen, da Menschen nur aufgrund innerlich verarbeiteter Bildungsinhalte vernünftig urteilen können. Philipp Loretz weist nach, dass die Erweiterung des Bildungsprogramms der Primarschule zu grossen Teilen auf Kosten des Deutschunterrichts geht und eklatante sprachliche Defizite der Schüler die nachfolgenden Schulstufen belasten. Auch er sieht dringenden Handlungsbedarf, um das Bildungsprogramm wieder aufs Wesentliche zu fokussieren.

Mehr Erfolg mit einer Erneuerung der Schule von unten her

Der Neustart im Frühling nach Corona ist eine Chance, unser Bildungswesen von unten her umzugestalten und die ärgsten Dauerbaustellen zu schliessen. Dazu ist eine grosse Portion Mut und ein Schlussstrich unter gescheiterte Dogmen nötig. Die Bildungspolitik ist gefordert wie schon lange nicht mehr. Doch es bestehen erhebliche Zweifel, ob die kantonalen Bildungsdirektionen dieser Herausforderung wirklich gewachsen sind. Wer jahrelang wichtige Fragen vor sich herschiebt, muss sich nicht wundern, wenn nun harte Fragen gestellt werden. Die Lehrpersonen haben genug von einer Bildungssteuerung, die ihnen im Alltag unlösbare Aufgaben stellt und falsche Wege weist. Sie haben genug von Pädagogischen Hochschulen, die zu viel wertvolle Ausbildungszeit in praxisferne Lerntheorien investieren und die fachdidaktische Ausbildung in manchen Bereichen vernachlässigen.

Nach dem Versagen der Bildungspolitik in einigen zentralen Fragen muss die Stimme der Lehrerschaft wieder deutlich mehr Gewicht erhalten. Das heisst aber auch, dass Lehrerinnen und Lehrer ihre übervorsichtige Einstellung bei Diskussionen über berufspraktischen Fragen endlich ablegen und die Rolle der gehetzten Ausführenden nicht länger dulden. Auf keinen Fall darf die Lehrerschaft nun weitere Vertröstungen mit Flickwerk-Reformen oder durch digitale Heilsversprechungen akzeptieren. Diese selbstbewusste Haltung verlangt, dass die Lehrerinnen und Lehrer bei didaktischen und erzieherischen Fragen sich der offenen politischen Auseinandersetzung stellen. Nach dem Scheitern so vieler unausgegorener Reformen in der Praxis ist es an der Zeit, die Prioritäten aus Sicht der Schulpraxis neu zu setzen.

Weitere Beiträge in unserem Newsletter befassen sich direkt mit dem Schulbetrieb und den personellen Schwierigkeiten in der Corona-Situation. Allan Guggenbühl hebt die Bedeutung der Klassengemeinschaft für Jugendliche beim Übergang ins Erwachsenenalter hervor und verschiedene Lehrerverbände wehren sich gegen viel zu frühe Abschlüsse von Lehrverträgen. Und wie immer finden Sie bei uns pointiert formulierte Leserbriefe, die bestens zu den diskutierten Themen passen.

Wir wünschen Ihnen trotz aller Einschränkungen schöne Weihnachten und ein hoffnungsvolles neues Jahr.

Für die Redaktion Starke Volksschule Zürich

Hanspeter Amstutz