Nicht vergessen!
Veranstaltung: Was die Kleinklasse für ein Kind bedeuten kann
Montag, 19. Mai, 19.00 Uhr
Pfarreizentrum Liebfrauen, Weinbergstr. 36, 8006 Zürich
Es braucht eine innere Schulreform mit Einbezug von Förderklassen
Längeres konzentriertes Lernen in Schulklassen als ein Markenzeichen für hohe Leistungsbereitschaft ist seltener geworden. Heterogene Klassenzusammensetzungen mit erzieherisch unterschiedlich geprägten Kindern stellen Lehrpersonen vermehrt vor herausfordernde Führungsaufgaben. Heikel wird es, wenn einzelne Schüler durch stark auffälliges Verhalten wiederholt den Unterricht stören und ganze Klassen zeitweise durcheinanderbringen. Das aktuelle integrative Modell sieht deshalb vor, dass in schwierigen Situationen Heilpädagoginnen die Klassenlehrpersonen unterstützen sollen. Doch das aufwändige Konzept ist personalintensiv und besteht oft nur auf dem Papier. Jede Heilpädagogin ist durchschnittlich in acht bis zehn Klassen engagiert und oft nicht gerade da, wo es brennt.
Für stark verhaltensauffällige Schüler genügen «Schulinseln» nicht
Aufgrund dieser Erfahrungen haben einige Schulen ein Modell entwickelt, bei welchem verhaltensauffällige Schüler tageweise auf einer «Schulinsel» separiert betreut werden können. Dieses Angebot kann zur Stabilität in den Klassen beitragen, wenn das Modell nicht überstrapaziert wird. Kinder und Jugendliche mit tiefliegenden Lernschwierigkeiten jedoch können ohne eine Intensivbetreuung über einen längeren Zeitraum nicht auf die Erfolgsspur zurückgeführt werden. Wo wie an den meisten Schulen Förderklassen fehlen, bleibt für ganz schwierige Fälle nur noch die Einweisung in ein teures Sonderschulheim. Doch diese sind als Folge des Fehlens von Förderklassen chronisch überfüllt.
Der Blick in die Klassenzimmer zeigt, dass es längst nicht nur Einzelfälle sind, welche im Unterricht häufig für Unruhe sorgen. In manchen Klassen sind es bis zu einem halben Dutzend Kinder, die einen intensiven Betreuungsaufwand benötigen oder von Lernzielen befreit werden müssen. Doch es wäre zu simpel, die Schuld für die Lernschwierigkeiten nur bei den verhaltensauffälligen Schülern zu suchen. Vielmehr fällt auf, dass ein starker Individualisierungsdruck mit der Forderung nach massgeschneiderten Lernzielen für jedes Kind die Klassenführung erschwert. Vertreter der Lehrerverbände sehen denn auch in der Verzettelung der Bildungsziele die grösste Herausforderung für die aktuelle Didaktik.
Das gemeinsame Lernen im Klassenunterricht muss wieder im Zentrum stehen
Allgemein verbindliche Lernziele im Rahmen einer Klasse hingegen unterstützen einen strukturierten Verlauf des Unterrichts mit einem stabilisierenden Effekt. Auch bei klarer Zielorientierung werden Lehrpersonen jedoch stets versuchen, die unterschiedlichen Begabungen der Schüler beim gemeinsamen Lernen zu berücksichtigen. So kann durch Phasen von Binnendifferenzierung Rücksicht auf das Lerntempo der einzelnen Schüler genommen werden. Dies spielt besonders bei der Einführung von grundlegenden Bildungsinhalten eine wichtige Rolle. Die Begabteren wissen, dass sie sich ab und zu etwas gedulden müssen, bevor sie ihr Leistungsvermögen bei anspruchsvolleren Aufgaben wieder unter Beweis stellen können.
Doch die bisherige Praxis der massvollen Individualisierung mit differenzierten Stütz- und Förderaufgaben scheint passé zu sein. Neue didaktische Konzepte sehen vor, dass jedes Kind in zentralen Fächern dort abgeholt wird, wo es sich in seiner kognitiven Entwicklung gerade befindet. Entsprechend vielfältig sind die Bildungsziele und die Lernwege, die es in jedem einzelnen Fall individuell festzulegen gilt. Bei dieser anspruchsvollen Einzelförderung bleibt für gemeinsames Unterrichten wenig Platz.
Die Verzettelung durch individuelle Lernziele überfordert die Lehrkräfte
Mit diesem didaktischen Kurswechsel verringern sich die bisherigen Anpassungsleistungen der einzelnen Schüler an die stabilisierenden Normen des gemeinsamen Klassenunterrichts erheblich. Manche Kinder werden fordernder und ungeduldiger, da sie es sich gewohnt sind, stets Vorfahrt auf ihrem Lernweg zu erhalten. Dabei wird erwartet, dass eine omnipräsente Lehrerin als umsichtige Lernbegleiterin überall sofort Hilfe leisten kann. Das führt zu viel Hektik und Unruhe im Schulbetrieb.
Das neue Förderklassenkonzept ist nicht dazu da, um didaktische Fehlentwicklungen der Volksschule auszubügeln. Zuerst müssen die Ansprüche an die Individualisierung reduziert und der überladene Lehrplan samt schiefem Frühsprachenkonzept entschlackt werden. Dazu braucht es eine innere Schulreform mit der Rückbesinnung auf ein Bildungs-Kernprogramm. Konkret könnte dies unter anderem heissen: Mehr gemeinsamer Klassenunterricht statt selbstorganisiertem Lernen, mehr gründliches Deutschtraining statt Experimente mit Frühfremdsprachen und mehr didaktische Freiheiten statt kompetenzgesteuerter schulischer Planwirtschaft.
Veranstaltung vom 19. Mai in Zürich über erfolgreiche Förderklassen
Förderklassen sind ein unverzichtbarer Teil eines leistungsfähigen Schulsystems. Sie bilden einen zweckmässigen Mittelbau zwischen einer Lösung mit Schulinseln und den Sonderschulen. Damit diese wichtigen Kleinklassen ihre Funktion erfüllen können, braucht es mehr qualifiziertes Lehrpersonal mit guten Führungskompetenzen. Dies setzt voraus, dass die Hochschule für Heilpädagogik ihr Ausbildungskonzept stärker auf die Klassenführung mit herausfordernden Kindern ausrichtet und ihre dogmatische Ablehnung der Förderklassen aufgibt. Der Leitsatz «So viel Integration wie möglich, so wenig Separation wie nötig» könnte dabei als Richtlinie für einen pragmatischen Mittelweg dienen.
Unser Startbeitrag aus der NZZ und die Leserbriefe dazu werden Sie bestens auf unsere Veranstaltung vom 19. Mai in Zürich einstimmen. Giorgio Scherrer ist es gelungen, das Bild eines Heilpädagogen zu zeichnen, der mit Freude und Überzeugung eine der wenigen noch vorhandenen Förderklassen führt. An unserer Veranstaltung möchten wir das Thema schulische Integration vertiefen und offen darüber diskutieren. Von zwei erfahrenen Lehrpersonen erhalten Sie aus erster Hand Informationen über den erfolgreichen Unterricht in Kleinklassen. Angesprochen werden aber auch die Fehlentwicklungen in unserer Volksschule und die inneren Reformen, die für einen Kurswechsel unumgänglich sind.
Eine Abrechnung mit dem Frühsprachenkonzept und ein klares Handyverbot
Wenn sich Alain Pichard zum Frühfranzösisch äussert, wird hingehört. Bei seiner Abrechnung mit dem gescheiterten Frühfranzösisch ab der dritten Klasse im Kanton Bern schlägt er ziemlich markige Töne an. Schon oft wurde am Mehrsprachenkonzept Kritik geübt, doch diesmal kommen die Protagonisten des gescheiterten Konzepts nicht mehr ungeschoren davon. Der Bieler Lehrer fordert ein radikales Umdenken beim frühen Sprachenlernen. Er ist empört, dass eine so schöne Sprache wie das Französisch als Folge didaktischer Irrwege und politischer Zwängereien bei den Schülern keinen Anklang mehr findet.
Bemerkenswert ist auch die klare Haltung von Regierungsrat Res Schmid beim Handyverbot in den Nidwaldner Schulen. Der Erziehungsdirektor geht konsequent seinen Weg weiter und findet offensichtlich grossen Rückhalt in der Bevölkerung und bei der Lehrerschaft seines Kantons. Was er pädagogisch für richtig hält, setzt er durch und kümmert sich wenig um Kritiker, die weit weg von der schulischen Realität sind.
Unsere beiden letzten Beiträge dürften keine hohen Wellen werfen. Die neue Direktorin der PHZH nimmt Stellung zu den vielen Teilzeitstellen im Schulbereich und der Dachverband der Lehrerschaft zeigt wenig Lust auf eine Strukturreform der Sekundarschule. Letzterem schliessen wir uns gerne an, denn wir sind überzeugt, dass die nötigen inneren Reformen jetzt absolute Priorität haben.
Hanspeter Amstutz
