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Newsletter vom 4. Mai 2025

Grossbaustelle Volksschule

Grossbaustelle Volksschule

Dieses Mal können wir Ihnen einige gescheite Texte und originelle Ideen anbieten. Deren Autoren setzen sich, jeder auf seine Art, mit der dringend nötigen Verbesserung der Volksschule und der Lehrerbildung auseinander. Daneben kommt LCH-Präsidentin Dagmar Rösler schwach daher.

Jawohl, die Volksschule braucht eine Rosskur!

Obwohl Rösler keine Argumente bringt, die nicht längst gewälzt und widerlegt wurden, hier doch noch einmal einige Klarstellungen. Jawohl, es braucht eine Rosskur zur Sanierung des miserablen Zustands der Volksschule. Mit abgedroschenen Phrasen und spitzfindigen Studien über die «Optimierung der Klassenzusammensetzung» ist weder den Schülern noch den Lehrerinnen geholfen. Niemand will «das Rad der Zeit zurückdrehen», vielmehr gilt es, das Züglein vorwärts auf ein sinnvolles Geleise zu bringen. Machen wir uns doch nichts vor: Die integrierte Sammelklasse mit dem selbstorganisierten Lernen und dem coachenden Lehrer hat in eine Sackgasse geführt, aus der wir zum Wohl aller Beteiligten wieder herausfinden müssen. Von der Vereinzelung zur Klassengemeinschaft, vom SOL zum gemeinsamen Erarbeiten des Lernstoffs, ob in der Regelklasse oder einer Förderklasse.

So plausibel das klingt – es wird eine Rosskur sein, die vielen Baustellen der Volksschule in Ordnung zu bringen. Allein schon die Ausbildung von genügend Heilpädagoginnen für die anspruchsvolle Aufgabe, Förderklassen so zu führen, dass die Schüler vorankommen, ist kein Kinderspiel. Hier bräuchte es den Willen der PHs und der Hochschulen für Heilpädagogik, die Lehrerausbildung unter die Lupe zu nehmen.

Auch der gut gemeinte Versuch der Zürcher Behindertenverbände, mit ihrer Volksinitiative die Inklusion aller Kinder in die Regelklassen zu «retten», wird am Einspruch der Realität scheitern. Interessant, dass Mitinitiantin Birgit Tognella-Geertsen im selbstorganisierten Lernen eine der Ursachen der heutigen Probleme in den Integrationsklassen sieht. SOL ist aber gerade Teil dieses Modells. Also machen wir doch lieber vorwärts mit der Wiederbelebung des Unterrichtens in den Regelklassen und der Einführung von Förderklassen für alle Kinder, die dort besser lernen können.

Gegenmassnahmen: Anregungen eines Praktikers

Kommen wir nun zu den angekündigten gescheiten Texten und originellen Ideen. Was der erfahrene Sek-Lehrer Andreas Aebi über den Zustand der Volksschule zu sagen hat und welche Verbesserungen er für nötig hält, ist ein Genuss zu lesen. Damit die Kinder in der Schule wieder lesen und schreiben lernen, braucht es «Gegenmassnahmen zur Verzettelung und Vereinzelung, die der Konzentration und dem Klassenleben so abträglich sind», fasst Aebi seine bedenkenswerten Anregungen zusammen. Lehrerinnen sollen wieder unterrichten und korrigieren. Weg vom selbstorganisierten Lernen, weg «von der Sprunghaftigkeit hin zur Vertiefung. Leistung verbindlich einfordern.» Lehrerpersönlichkeiten wie Aebi sollten wir künftig in die Bildungsdirektionen und Lehrerverbände schicken!

Mit seinem frischen Wind im Bildungsgebälk hat Andreas Aebi zwei Leserbriefschreiber zu interessanten Anmerkungen angeregt. Wobei eine Kritik erlaubt sei: Dass man die nötigen Fertigkeiten in Lesen und Schreiben nur mit ausgiebigem Üben erwerben kann, würde ich nicht als «verstaubte» Erkenntnis etikettieren. Gibt es etwas Schöneres, als Kinder und Jugendliche in die faszinierende Welt der deutschen Sprache einzuführen und zu versuchen, sie fürs Lesen und Schreiben zu gewinnen? Natürlich ist es auch ganz schön herausfordernd, aber das macht den Lehrerberuf ja gerade so fesselnd.

Französischlehrer müssen Französisch können

Die Forderung von Sprachwissenschafter Daniel Elmiger leuchtet ein: Um Jugendliche für eine Sprache zu begeistern, sollte man diese zuerst einmal selbst beherrschen. Erinnern Sie sich daran, wie unsere Franz-Lehrer in der Sek von ihren Erlebnissen im Waadtland oder in der Provence erzählten? Sie hatten alle einen Studienabschluss und längere Sprachaufenthalte hinter sich. Natürlich hängt es auch von der Persönlichkeit einer Lehrerin ab, wie sie ihre Freude an der Sprache, der Kultur und den Menschen, die sie angetroffen hat, hinüberbringen kann. Aber dass ein Französischlehrer fähig sein muss, flüssig und lebendig zu sprechen, ist eine Grundvoraussetzung. Die zweite Voraussetzung, dass es nämlich für das Erlernen einer Sprache Zeit und Raum braucht, mahnt Hans-Peter Köhli unermüdlich an, diesmal in einem ganz kurzen, wie immer ganz klaren Leserbrief.

Mit seinem Blick zurück in die Entstehungsgeschichte der unseligen Idee, unseren Primarschülern zwei Frühfremdsprachen aufzuzwängen, trägt unser Redaktionskollege Hanspeter Amstutz sozusagen einen theoretischen Teil zum Thema bei.

Eine Buchbesprechung mit pädagogischem Gehalt

Zur Abrundung unserer Textsammlung lädt uns Carl Bossard zur Lektüre eines Romans ein, der das Aufwachsen junger Menschen in einer Zeit sich auflösender Wertordnungen und verbindlicher Grundhaltungen thematisiert. Mit seiner menschlichen und pädagogischen Überzeugungskraft sowie seiner unnachahmlichen Schreibkunst vermag Carl Bossard uns das Buch und seine eigenen Gedanken dazu näherzubringen.

Mich als ehemalige Berufsschullehrerin spricht natürlich vor allem die oft heilende Kraft einer Berufslehre bei einem verständnisvollen und gleichzeitig konsequenten Lehrmeister an.

Unzählige meiner Berufsschüler haben in der Lehre Ähnliches erlebt, wie Carl beziehungsweise der Romanautor es schildern: Das Gefühl, gebraucht zu werden und dabei zu erfahren, dass es auf einen ankommt. Auf diesem Boden haben die allermeisten meiner Schüler den verzwickten Übergang vom gemütlichen Schulalltag in der Oberstufe zur anspruchsvollen und strukturierten Arbeitswelt gut bewältigt. Das von erfahrenen Berufsleuten Gelernte und der Stolz auf die geleistete Arbeit gab ihnen einen Sinn. Und Kapitän auf einem Zürichsee-Schiff kann der Plattenleger nach der Lehre immer noch werden. Das ist das Tolle und unbedingt Erhaltenswerte an der dualen Berufsausbildung: Wer trotz schwieriger familiärer und schulischer Vorgeschichte Mut fasst und etwas machen will aus seinem Leben, dem sind fast keine Grenzen gesetzt.

Nun wünsche ich Ihnen viel Freude und Anregung beim Lesen.

Marianne Wüthrich