Springe zum Inhalt

Newsletter vom 27. 3. 2022

Vertrauen schaffen in beängstigenden Zeiten

Kinder und Jugendliche treffen zurzeit auf allen Kanälen auf schreckliche Kriegsbilder aus der Ukraine. Das geht nicht spurlos an ihnen vorbei. Lehrpersonen, Heilpädagoginnen und Schulpsychologen sehen sich deshalb zunehmend mit Kindern konfrontiert, die unter erheblichen Ängsten leiden.

Manche Kinder könnten im Rahmen ihrer Familien an Tischgesprächen oder durch die unerschütterliche Zuversicht ihrer Eltern ihre Ängste etwas abbauen. Doch in vielen Familien haben die Eltern nicht genügend Kraft, die notwendige Unterstützung zu bieten. Umso mehr rückt die Schule in den Fokus, wenn es um die Stabilisierung der Kinder in schwierigen Zeiten geht.

Die innere Zuversicht einer Klassenlehrerin kann viel bewirken

Wie die Berichte aus den Schulen zeigen, sind sich die allermeisten Lehrpersonen ihrer Bedeutung als Mutmacher in der gegenwärtigen Krise bewusst. Kinder beobachten genau, wie ihre Klassenlehrerin sich verhält und welche Einstellung sie dem Leben gegenüber hat. In einer Klasse, wo ein Lernklima der Ermutigung vorherrscht und wo bei der Lehrperson ein begründeter Glaube an den Sieg des Guten vorherrscht, können die Kinder auch in diesen beängstigenden Zeiten ihre Zuversicht bewahren.

Einmal mehr zeigt uns Carl Bossard in einem grossartigen Beitrag, dass tiefgehende Bildung Mut zum Leben macht und eine Quelle der Erneuerung ist. Der Autor zitiert den grossen Philosophen Kant mit seinen berühmten Grundfragen zur Lebensaufgabe des Menschen. Die Antworten des Philosophen sind von einer grossen Kraft und stärken die Zuversicht, dass der Weg jedes einzelnen sinnvoll ist. Lehrinnen und Lehrer, welche diese innere Haltung teilen und in ihrem Unterricht ausstrahlen, sind eine sichere Stütze für fragende Kinder.

Hilfsbereitschaft und entschlossenes Handeln als Antwort auf das Furchtbare

Die innere Zuversicht ist das eine, doch sie soll die furchtbare Realität in der Ukraine nicht einfach ausblenden. Wir können wohl nur ahnen, was die Ukrainer im Osten ihres Landes in den eingeschlossenen Städten zurzeit durchmachen. Umso mehr spielt es eine Rolle, dass unsere Schule das Menschenmögliche unternimmt, um ihren Teil an der Linderung der Krise beizutragen. Wie der Bericht des Zuger Bildungsforschers Stephan Huber über die schulische Integration ukrainischer Kinder zeigt, mangelt es nicht an grosser Hilfsbereitschaft und praktikablen Ideen in den aufnehmenden Schulen. Mit ihrem eindrücklichen Engagement in unzähligen Schulen beweist unsere Lehrerschaft, dass sie auf ihre Weise einen Beitrag zum Freiheitskampf der Ukrainer leisten will. Da ist nichts mehr von hemmender Bürokratie zu spüren, denn die Lehrerinnen und Lehrer wissen, worauf es ankommt. Unkomplizierte Sofortmassnahmen und vorbehaltlose Zuwendung für Menschen in Not haben jetzt absoluten Vorrang.

Die Lehrerschaft muss nicht am Gängelband geführt werden

Die Hoffnung ist da, dass dieses entschlossene Anpacken weitergeht, wenn die politischen Turbulenzen sich beruhigt haben. Mutiges Handeln der Lehrerschaft haben wir in den letzten Jahren leider häufig vermisst. So haben die meisten Lehrerverbände unausgegorene Reformen, fragwürdige didaktische Konzepte in Lehrmitteln und dümmliche Rollenmuster ohne grossen Widerstand weitgehend akzeptiert. Doch die Bilanz ist ernüchternd. Trotz deutlich mehr finanzieller Mittel für die Schulen zeigen die Leistungserhebungen in wichtigen Fächern einen Abwärtstrend. Diese Tatsache hat der Augsburger Pädagogikprofessor Klaus Zierer zum Anlass genommen, das aktuelle Lehrerbild zu hinterfragen. Er stellt sich die Frage, was einen guten Lehrer ausmacht.

Der Autor sieht in der pädagogischen Grundhaltung, in der Leidenschaft für den Beruf den entscheidenden Faktor für den schulischen Erfolg. Die aktuelle, sich stark auf empirische Daten abstützende Bildungsforschung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die psychosoziale Seite des Lehrerberufs vernachlässigt zu haben. Nicht die Kinder und Jugendlichen in ihren vielfältigen Lebenswelten stehen heute im Zentrum der Pädagogik, sondern die Menge des «Outputs» an erworbenen Kompetenzen. Messbarkeit von Bildung rangiert vor pädagogischen Werten, die kindgerechten Bildungsinhalten innewohnen.

Wir brauchen ein überzeugenderes Lehrerbild

Der Autor macht den Vorschlag mit einem «sokratischen Eid» dem Lehrerberuf die pädagogische Gestaltungskraft zurückzugeben. Trotz gebotener Loyalität gegenüber dem Lehrplan sollen Lehrerinnen und Lehrer sich stärker am eigentlichen Wohl des Kindes orientieren und ihr pädagogisches Gewissen als Richtschnur des Handelns sehen. Konsequent umgesetzt würde dies bedeuten, dass die Pädagogischen Hochschulen ihre Ausbildungsmodelle in weiten Teilen neu ausrichten müssten. Mehr praxisbezogene Offenheit in der Didaktik, gründliche Vorbereitung auf einen attraktiven gemeinsamen Klassenunterricht und Förderung der Studierenden zu mutigen, selbstkritischen Lehrerpersönlichkeiten wären da als erstes zu nennen.

Die Vorstellung, dass junge Lehrerinnen und Lehrer mit einem Eid in den Schuldienst treten, ist mir etwas zu theatralisch. Die formulierten Ideale sind hoch angesetzt und dadurch können sie an praktischem Wert verlieren. Das hinter dem Eid stehende zentrale Anliegen einer Überprüfung der Lehrerrolle jedoch ist richtig. Dazu brauchen es keinen sokratischen Eid, sondern eine offene Auseinandersetzung um ein überzeugenderes Lehrerbild.

Pragmatische Lösungen gehen von der Schulrealität aus

Wie konkretes Mitgestalten der Lehrkräfte aussehen könnte, zeigt uns Beat Kissling am Beispiel der Integration schwieriger Schüler in Regelklassen. Der Autor weist nach, dass die doktrinär vorangetriebene Inklusion in sehr heterogenen Klassen zum Scheitern verurteilt ist. Der Beitrag befasst sich mit der Balance zwischen dem dynamischen Lernen in einer Klassengemeinschaft und dem Eingehen auf individuelle Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler. Was uns dieser Schulpraktiker mit profundem theoretischem Hintergrund zu sagen hat, ist absolut lesenswert.

Mit den weitgehend verschwundenen Kleinklassen setzt sich auch die Basler Lehrerschaft auseinander. Die Freiwillige Schulsynode Basel Stadt fordert mit einer Volksinitiative die Wiedereinführung der heilpädagogischer Förderklassen. Wie «Bildung Schweiz» berichtet, hat die Integration stark verhaltensauffälliger Schüler in manchen Regelklassen dazu geführt, dass viele Lehrpersonen einer unerträglich hohen Belastung ausgesetzt sind. Hoffen wir, dass die Initiative zustande kommt und am Ende vom Volk angenommen wird.

Wenig mit vernünftigem Pragmatismus hat der realitätsferne Berufsauftrag der Zürcher Lehrerschaft zu tun. Laut einer Umfrage des Zürcher Lehrerverbands führt das utopische Konzept der Bildungsdirektion dazu, dass Klassenlehrpersonen durchschnittlich acht Wochen pro Jahr an unbezahlten Überstunden leisten müssen.

Den Abschluss unseres Newsletters bilden zwei Beiträge zum Stellenwert der gymnasialen Bildung in unserer Gesellschaft. Ein bemerkenswerter Leserbrief von Gustav Schulthess greift die umstrittene Frage der Chancengleichheit bei den Gymiprüfungen auf. Und wer mehr über die Maturitätsreform erfahren möchte, wird im angekündigten Vortrag von Carl Bossard ganz bestimmt auf seine Rechnung kommen.

Für die Redaktion Starke Volksschule Zürich

Hanspeter Amstutz