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Newsletter vom 11.10.2020

Gymnasium als nächstes Experimentierfeld für «Bildungsexperten»?

Nachdem die sogenannten Bildungsexperten die Volksschule als Ort einer guten Bildung für alle Kinder heruntergefahren haben, kommt jetzt das Gymi dran. Da werde zu viel Stoff in die Köpfe der Jugendlichen gedrückt, stattdessen seien Grundlagen für «lebenslanges Lernen» zu legen (siehe Philippe Wampfler). Die Nähe dieser Ideen zum unbrauchbaren kompetenzorientierten Lehrplan 21, den unsere Baselbieter Kollegen mit ihrem klar strukturierten Gegenvorschlag wieder loswerden wollen, ist offensichtlich. Die erfahrene Deutschlehrerin an der Kantonsschule Zürich Nord, Yasemin Dinekli, führt das Passepartout-Debakel als warnendes Beispiel an und stellt mit Recht die Frage: «Wieso nun sollte gerade das Gymnasium auf den entgleisten Zug aufspringen?»

Weiter wird einmal mehr der föderalistische «Flickenteppich» bemüht: Kantonale Unterschiede beim Aufnahmeverfahren ins Gymi, bei den Lehrplänen und den Anforderungen zur Erlangung der Matura sollen «harmonisiert» werden («Baustelle Maturität» von René Donzé). Noch mehr Fächer fordern die einen, während Kollege Wampfler die Vision einer «neuen Lernkultur» malt, die «Vermittlung durch Kooperation ersetzt» und den Prüfungen den Kampf ansagt. Und schon sind wir bei den unterschiedlichen Maturaquoten angelangt: Gymnasien sollen «gerechter» werden, «Matura für alle» ist angesagt.

Negative Folgen der bisherigen Schulreformen nicht übergehen!

Es erstaunt, dass die beklagenswerten Auswirkungen der Umkrempelung der Volksschule von den Gymi-Reformern nicht zur Kenntnis genommen werden.

Die sogenannte «Harmonisierung», das heisst das Ausmerzen der Vielfalt im föderalistischen Staat, hat nicht zu einer gerechteren Schullandschaft geführt, sondern die Qualität der Volksschule im ganzen Land nach unten nivelliert. Dass vielerorts ein hoher Prozentsatz der Jugendlichen, vor allem wenn sie ohne Aufnahmeprüfung ins Gymi kommen, die Probezeit oder das erste Jahr nicht überstehen, kann nicht nur einer harten Selektion angelastet werden. Tatsache ist, dass viele Schüler aufgrund des kompetenzorientierten Lehrplans der Volksschule und des weitgehend selbstorganisierten Lernens beim Eintritt ins Gymnasium keine genügenden Grundlagen mitbringen. Dies gilt besonders auch für die deutsche Sprache. Wie Mario Andreotti in unserem Startbeitrag überzeugend ausführt, führt unklares Schreiben unweigerlich zu unklarem Denken.

Stärkung der dualen Berufsbildung ist besser als ein Gymi für alle

Es schläckt's kä Geiss weg: Klar denken lernen Kinder nicht mit SoL, sondern beim gemeinsamen Erarbeiten des gut strukturierten Lernstoffs mit dem Lehrer und den Mitschülern im Klassenunterricht. Und gerecht ist ein Schulwesen nicht, wenn alle ein Maturazeugnis kriegen. Vielmehr ist es an uns Erwachsenen, für eine Volksschule zu sorgen, die allen Kindern eine menschenwürdige Zukunft ermöglicht. Als ehemalige Berufsschullehrerin kann ich mich Professor Hans-Peter Klein nur anschliessen: Die duale Berufsbildung ist ein ebenso guter Einstieg ins Erwachsenenleben wie das Gymi, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch in Bezug auf die Persönlichkeitsbildung und -reifung. Offenbar haben das auch die OECD-Leute gemerkt.

Zum Schluss bleibt noch, Ihnen einen weiteren historischen Artikel von Peter Aebersold als Lektüre anbieten zu können, diesmal über die Geschichte der Heilpädagogik. Und mit besonderer Freude laden wir Sie zum nächsten Vortrags- und Diskussionsabend der «Starken Volksschule Zürich» am 5. November ein.

Marianne Wüthrich