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Newsletter vom 16.8.2020

Aktuelle Themen neu diskutiert

Nach der Sommerpause melden wir uns mit neuem Schwung und hoffen, dass auch Sie, liebe Leserin, lieber Leser, gesund und neugierig auf den neuen Newsletter wieder da sind.

Wir beginnen mit einer Rückbesinnung zum Schuljahresschluss aus der Feder unseres treuen Autors Carl Bossard. Er stellt die Gretchenfrage nach der Bedeutung der Lehrerpersönlichkeit in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Die Autoren der beiden nächsten Artikel gehen noch einmal auf den Fernunterricht und den damit verbundenen vermehrten Einsatz digitaler Hilfsmittel ein. Ihre Ausführungen beziehen sich auf die deutschen Schulen, gelten aber natürlich für Schweizer Schulen genauso: Die Schulen, Lehrkräfte, Eltern haben in der ausserordentlichen Lage der Pandemie ihr Bestes gegeben, und jetzt haben wir die Chance, Hard- und Software, die sich als brauchbar erwiesen haben, weiter zu nutzen. Aber: «Die Schule passt sich die Digitalisierung an – nicht umgekehrt», so Damian Miller und Jürgen Oelkers. Die Corona-Krise zu einer «unverzüglichen Transformation» von Schule und Unterricht zu benutzen, würde nach Matthias Burchardt und Ralf Lankau entschieden zu kurz greifen: Sie warnen vor der damit verknüpften Überwachungspädagogik statt einer wertorientierten Persönlichkeitsbildung.

Mario Andreottis spritzige Kolumne zu einem weiteren Anglifizierungs-Schub der deutschen Sprache infolge Corona ist ein spannender Input – pardon, Beitrag! (Die Verwendung des Begriffs «social distancing» stört mich auch schon lange – das BAG schreibt übrigens richtig «Abstand halten».) Es folgt die Rezension von Urs Kalberer über ein neues Buch von Simone Pfenninger zu ihrer bekannten Langzeitstudie zum Frühfremdsprachenunterricht, deren niederschmetternde Ergebnisse wir im Newsletter schon früher thematisiert haben. Schön, wieder von der mutigen Forscherin zu hören, die nach der Veröffentlichung ihrer bahnbrechenden Erkenntnisse leider aus der Schweizer Hochschullandschaft verschwunden ist.

Inklusion und Integration sind in vielen Fällen nicht die beste Lösung für ein Kind

Zur Inklusion und Integration behinderter Kinder in der Regelschule wurden auf dem Condorcet-Blog gleich zwei hochaktuelle kritische Werke des renommierten Heilpädagogen Riccardo Bonfranchi vorgestellt, verfasst vom Pädagogen Beat Kissling und der Heilpädagogin Eliane Perret, einer Mitkämpferin der ersten Stunde gegen die nicht kindgemässen Zürcher Schulreformen, die auch im Verein «Starke Volksschule Zürich» aktiv dabei ist.

Nach diesen beiden gehaltvollen Buchbesprechungen stellt Eric Scherer von insieme 21 ein angebliches «Menschenrecht auf schulische Integration» in den Raum. Glücklicherweise stellen die ausgezeichneten Leserbriefe von Peter Aebersold und Peter Schmid die Tatsachen wieder vom Kopf auf die Füsse: Es gibt selbstverständlich für jedes Kind ein Menschenrecht auf Bildung, aber kein Menschenrecht auf schulische Integration – weder nach Schweizer noch nach internationalem Recht. Nun, Eric Scherer sei es unbenommen, anderer Meinung zu sein. Absolut daneben ist hingegen seine Attacke gegen die erfahrene und begeisterte Zürcher Primarlehrerin Yasmine Bourgeois, die in ihren eigenen Klassen immer wieder erleben musste, wie es manchen Kindern trotz viel persönlicher Unterstützung und Anleitung nicht gelang, Tritt zu fassen in der Regelklasse. Einer Lehrerin zum Vorwurf zu machen, dass sie den ihr anvertrauten Kindern den am besten auf sie zugeschnittenen Weg in einer Kleinklasse ermöglichen will, ist dicke Post!

Berufsschule oder Gymi?

«Karriere ist auch ohne Gymi möglich». Diese Aussage von Daniel Schneebeli im Tagi kann ich als langjährige Berufsschullehrerin nur bestätigen, wobei ich festhalte, dass die duale Berufsbildung keine zweitrangige Lösung ist, sondern eine voll gleichwertige Ausbildung, die – wenn der junge Erwachsene das will – auf vielerlei Wegen ergänzt werden kann. Die Berufslehre dient nicht nur dem «Sammeln von Berufserfahrung», sondern ermöglicht vielen jungen Menschen eine Persönlichkeitsbildung und ein «mit beiden Füssen im Leben Stehen», das manche von uns einstigen Gymischülern im selben Alter noch nicht hatten.

Schliesslich macht uns René Donzé in «Religion auf Kosten der Geografie» aufmerksam auf das Eindringen der «Segnungen» des Lehrplan 21 ins Gymnasium. Es ist zu hoffen, dass die Gymilehrer sich nicht nur zur Wehr setzen, wenn ihrem eigenen Fach weniger Wochenlektionen zugeteilt werden sollen, sondern dass sie sich über die Fachbereiche hinweg zusammentun und grundsätzlich Stellung beziehen gegen das nicht schülergemässe Konzept des Lehrplan 21, ob in der Volksschule oder im Gymnasium.

Schlusswort: Ein Blick zurück zu den Anfängen der Schweizer Volksschule

Das Schlusswort überlassen wir noch einmal Carl Bossard für seinen erhellenden Blick in die Anfänge der Schweizer Volksschule im 19. Jahrhundert aus der Sicht eines Nidwaldners. Für den Kanton Zürich ist zu ergänzen: Die Zürcher Volksschule wurde bereits in den dreissiger Jahren des 19. Jahrhundert im Zuge des demokratischen Aufbruchs (Regeneration) gegründet. Dazu schrieb die Zürcher Bildungsdirektorin Regine Aeppli im Jahr 2007 zum 175. Geburtstag der Zürcher Volksschule: «Gegründet wurde sie in der Überzeugung, dass Demokratie und Wohlstand nur mit aufgeklärten, mündigen Bürgerinnen und Bürgern mit guter Bildung erreicht werden können. Diese Schlussfolgerung gilt heute mehr denn je». («175 Jahre Volksschule Kanton Zürich. Die Schule lebt.» Schulblatt des Kantons Zürich 2/07). Sehr schöne Worte, Frau Aeppli – Hand aufs Herz, was trägt der von Ihnen gepuschte Lehrplan 21 dazu bei?

Wir wünschen Ihnen zum neuen Schuljahr eine spannende Lektüre.

Für die Redaktion

Marianne Wüthrich