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Newsletter vom 29.9.2019

Pädagogischer Mut zu Leistung und lebendiger Kulturvermittlung

28.9.2019, Hanspeter Amstutz

Die Ansprüche an unsere Volksschule sind zweifellos gestiegen. Spätestens zu Beginn der sechsten Klassen melden viele Eltern ihren ziemlich fordernden Wunsch an, ihr Kind sei jetzt gründlich aufs Gymnasium vorzubereiten. Die Vorstellung, dass die Schule mit individuellen Förderprogrammen fast jeden elterlichen Wunsch erfüllen müsse, ist unterdessen weit verbreitet. «Mein Sohn gehört ins Gymnasium», tönt es forsch von Seite mancher Eltern. Für die Lehrpersonen der Mittelstufe sind Gespräche über die Bildungslaufbahn der Schüler deshalb nur selten eine entspannte Angelegenheit. In lange nicht allen Fällen kann bei Übertrittsfragen mit der Vernunft der Eltern gerechnet werden. In seinem Beitrag über den unverminderten Drang Richtung Gymnasium weist Carl Bossard auf diesen zunehmenden Druck auf die Lehrpersonen hin. Pädagogen brauchen viel Rückgrat, wenn sie aufgrund einer negativen Leistungsbeurteilung eines Gymi-Kandidaten standhaft bleiben wollen. Unser Autor schätzt diese Festigkeit beim Leistungsanspruch, denn die Qualität der Gymnasien könnte mit einer weitgehend offenen Zulassung nicht mehr gewährleistet werden.

Bei Laufbahnentscheiden zeigt sich das pädagogische Menschenbild der Lehrpersonen in aller Deutlichkeit. Für die meisten Lehrerinnen und Lehrer ist der Bildungsauftrag weit mehr als eine Konzentration des Unterrichts auf das schnelle Vermitteln von Kompetenzen für das Bestehen von Aufnahmetests. Gute Bildung solleine sorgfältig auf das Aufnahmevermögen der Kinder abgestimmte Kulturvermittlung sein. Dazu gehören in erster Linie solide Grundlagen in Mathematik und Deutsch. Wer jedoch ein Stück lebendige Welt ins Schulzimmer holen und die Herzen der Schüler erreichen will, wird Fächern wie Geschichte, Geografie oder Natur und Technik einen besonderen Platz einräumen. Es ist nicht Nebensache, was an emotionalen Erlebnissen und schülergerechten Inhalten den Volksschülern an kulturellen Werten vermittelt wird. «Beim Meier lerne ich in den Geschichtsstunden unglaublich viel, weil er so spannend erzählt und gut erklärt», ist ein ehrliches Schülerkompliment, das einiges über den Wert eines guten Realienunterrichts ausdrückt.

Nicht zuletzt sind es die Buben, die ihre Interessen eher in einer farbigen Realien- als in einer Französischlektion aufdecken. Leider hat sich die Gewichtung der Fächer ziemlich zuungunsten der Buben verschoben. Was heute besonders zählt, sind Fremdsprachen und nicht Nebenfächer wie Geschichte, Geografie oder Naturkunde. Sprachenlernen verlangt einiges an Selbstdisziplin, was den meisten Mädchen entgegenkommt. Buben würden lieber erfahren, weshalb die Briten die Luftschlacht um England gewonnen haben oder weshalb die Titanic untergegangen ist. Doch ihr Bedürfnis nach Dramatik und fesselnden Inhalten wird oft hinten angestellt.

Erstaunlicherweise bricht mit Michèle Binswanger eine liberale Journalistin eine Lanze für eine buben- und männergerechtere Pädagogik. Sie stellt fest, dass bei der männlichen Jugend ein gut strukturierter und attraktiver Frontalunterricht meist besser ankommt als selbstorganisiertes Lernen. Was die Journalistin über die Einseitigkeit der aktuellen Pädagogik schreibt, müsste auch an Pädagogischen Hochschulen einiges zu reden geben.

Der Zeitgeist ist kein verlässlicher Kompass für eine sichere Orientierung in der Pädagogik. Lehrerpersönlichkeiten wissen, dass eine schülergerechte Pädagogik häufig von den gängigen didaktischen Dogmen abweicht, wenn sie prägend sein will. Lehrerinnen und Lehrer sollen mutig und manchmal auch unbequem sein, wenn sie ein Stück weit die Rolle eines Kulturbotschafters übernehmen wollen. Dies gilt nicht zuletzt für die laufenden Auseinandersetzungen um das richtige Mass bei der Digitalisierung der Schule. Da schiessen manche digitale Reformer und Vertreter der Informatiklobby weit übers Ziel hinaus. Es gehört deshalb zu den Aufgaben der erfahreneren Lehrerschaft, eine auf reine Nützlichkeit ausgerichtete Digitalisierung in vernünftige Bahnen zu lenken und der analogen Kulturvermittlung die Priorität einzuräumen. Diesem Thema ist ein weiterer Schwerpunktbeitrag in unserem Newsletter gewidmet.

Lehrerinnen und Lehrer sind auf der ganzen Linie gefordert. Ihre pädagogischen Kompetenzen sind mehr denn je gefragt, um die aktuellen Herausforderungen an der Volksschule zu bewältigen. Letztlich sind es Lehrerpersönlichkeiten, welche tragende kulturelle Werte vermitteln und Grundlagen für das Verstehen wesentlicher Zusammenhänge schaffen. Lesen Sie in unserem Newsletter, wie diese grosse Aufgabe konkret umgesetzt werden kann. Wie immer finden Sie daneben weitere interessante Informationen zum Bildungsgeschehen der vergangenen Woche.

Für die Redaktion «Starke Volksschule Zürich»

Hanspeter Amstutz

Inhalt

  • Pädagogischer Mut zu Leistung und lebendiger Kulturvermittlung
    «Starke Volksschule Zürich», 28.9.2019, Hanspeter Amstutz
  • Der Hype ums Gymnasium
    Journal21 22.9.2019 von Carl Bossard
  • Bildung – oder Abrichtung
    NZZ 17.9.2019, Zuschriften, Leserbriefe
  • Es muss nicht immer das Gymi sein
    NZZ 17.9.2019, Meinung & Debatte, Dominik Feldges
  • Die Leiden der jungen Männer
    Tages-Anzeiger 16.9.2019, Seite Drei, Michèle Binswanger
  • Das unrühmliche Schicksal von Passepartout
    Condorcet 17. September 2019, Felix Schmutz, BL
  • Zürcher Schulen brandmarken Kinder in Datenbank
    Blick, 20.9.2019, Lukas Lippert, «Beobachter»
  • Kinder gehören nicht dem Staat
    Weltwoche 18.9.2019, von Katharina Fontana
  • Gefahren der schulischen Digitalisierung Ein Plädoyer für ein umsichtiges Vorgehen
    lvb inform 17.9.2019, Gastbeitrag von Felix Hoffmann, Sekundarlehrer
  • LCH-Spitze setzt sich über Basis hinweg
    Weltwoche vom 19.9.2019, Leserbrief zu «Politisch korrektes Schwänzen», Ausgabe vom 12.9.2019
  • Neue Beurteilung für Lehrpersonen
    Zürichsee-Zeitung 17.9.2019, Zürich
  • Veranstaltungshinweise
    Oktober: Eine Kultur schafft sich ab
    Veranstaltung der «Starken Volksschule St. Gallen»
    30. Oktober: Ökonomisierung der Kindheit – eine Herausforderung für Schule und Pädiatrie
    Vortragsreihe Pädiatrie, Schule & Gesellschaft