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Newsletter vom 16. November 2025

Die Fortsetzung des Sprachen-Flickwerks ist eine Zumutung

Die Fortsetzung des Sprachen-Flickwerks ist eine Zumutung

Die Spatzen pfeifen es lautstark von den Dächern, dass das Mehrsprachenkonzept der Primarschule ein Fiasko ist. Doch die Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz scheint alle Fenster ihres Elfenbeinturms verriegelt zu haben, um den ungeliebten Gesang nicht hören zu müssen. Was sich die verantwortlichen Erziehungsdirektoren in ihrer jüngsten Stellungnahme zum Sprachenkonzept geleistet haben, gleicht einem traurigen Abgesang auf eine schulnahe Bildungspolitik.

Die Fakten sind eindeutig: Spätestens seit der von der Zentralschweizer Erziehungskonferenz in Auftrag gegebenen Studie von 2015 über den Fremdsprachenunterricht in der Primarschule weiss man, wie schlecht es ums Frühfranzösisch steht. Doch es passierte zehn Jahre lang nichts, am Mehrsprachenkonzept durfte nicht gerüttelt werden.

Nun aber hat eine zweite, von der Deutschschweizer EDK in Auftrag gegebene Untersuchung mit völlig ungenügenden Resultaten diesen Sommer die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Doch diesmal gelang es nicht mehr, die Lehrerschaft und aufmerksame Beobachter des Schulgeschehens mit Hinweisen auf anstehende Verbesserungen zu beruhigen. Selbst der sonst stets vorsichtig kommentierende LCH zeigte sich geschockt über die schlechten Ergebnisse. In vielen Pressebeiträgen wurde die Frage aufgeworfen, was denn das viel gepriesene Mehrsprachenkonzept den Primarschülern an Lernfortschritten wirklich bringe.

Die Resultate des frühen Französischunterrichts sind ernüchternd

Die Antworten aus der Wissenschaft und von erfahrenen Lehrpersonen sind ernüchternd. Weder das versprochene spielerische Lernen noch das Profitieren vom frühen parallelen Lernen dreier Sprachen führen zum Erfolg. Aufwand und Ertrag stehen beim aktuellen Mehrsprachenkonzept in einem ungünstigen Verhältnis zueinander. Unzählige Stunden werden eingesetzt für Bildungsziele, die von den meisten Schülern bei weitem nicht erreicht werden. Umso mehr erhoffte man in den Schulen, dass die EDK an ihrer Herbst-Jahreskonferenz das umstrittene Konzept als gescheitert erklären und ein besseres Modell vorschlagen würde. Doch weit gefehlt!

In ihrer gewundenen Verteidigung des Sprachenkompromisses steigert sich die Konferenz zur Aussage, bei allen Reformbemühungen müssten stets die Schüler im Zentrum der Überlegungen stehen. Da fragt man sich schon, ob man sich im falschen Film befindet. Wenn die Mehrzahl der in die Oberstufe übertretenden Sechstklässler simple Basissätze auf Französisch nicht versteht und jeden Mut zum französisch Sprechen verloren hat, sind kleine Retouchen nutzlos. Wer wie die EDK mit Nachdruck vom Wohl der Schüler spricht, kann nicht länger die Augen vor dem aktuellen Sprachendebakel verschliessen.

Fehlende pädagogische Argumente vonseiten der EDK

Die ganze Pressemitteilung der EDK ist eine Zumutung für alle, die täglich mit dem Mehrsprachenkonzept der Primarschule zu kämpfen haben. Lehrpersonen erwarten eine grundlegende Konzeptänderung und nicht ein endlos weitergeführtes Flickwerk. Eltern haben genug von einem Mehrsprachenkonzept, das die meisten Kinder überfordert und bei vielen zu einem Verleider beim Sprachenlernen führt. Wenn jetzt erneut die Optimierung des Sprachenkonzepts und die Wichtigkeit eines frühen Kontakts aller Schüler mit der zweiten Landessprache beschworen wird, wirkt dies völlig unglaubwürdig.

Der Kulturauftrag der Primarschule liegt nicht im Vermitteln von zwei frühen Fremdsprachen. Wer erst in der Sekundarschule eine zweite Fremdsprache lernt, ist erfolgreicher, sofern in der ersten Fremdsprache und im Deutsch solide Grundlagen vorhanden sind. Diese wissenschaftliche Erkenntnis müsste eigentlich ungeduldige Gemüter beruhigen. Doch die EDK giesst Öl ins Feuer, indem sie den frühen Einstieg in eine Landessprache zur Schicksalsfrage für den nationalen Zusammenhalt erhebt. Das ist natürlich Unsinn und setzt falsche Akzente. Vielmehr müsste die EDK darauf hinwirken, dass die vorhandene Unterrichtszeit in der Primarschule für ein ausgewogeneres Bildungsprogramm mit mehr Deutsch und sprachförderndem Realienunterricht eingesetzt wird.

Andere Brücken zur sprachregionalen Vielfalt der Schweiz

Selbstverständlich ist uns allen bewusst, dass die Schweiz eine Willensnation verschiedener Sprachkulturen ist. Diese lebendige Vielfalt unseres Landes gilt es unseren Schülern nahezubringen. Ein guter Französischunterricht gehört deshalb zum unverzichtbaren Teil dieses Bildungsauftrags. Bereits in der Primarschule muss aber noch mehr getan werden, um die Schüler mit der Romandie und dem Tessin vertraut zu machen. Ein attraktiver Geografieunterricht endet nicht am Röstigraben. Er wird die landschaftlichen Schönheiten und die wirtschaftliche Bedeutung der Westschweiz hervorheben. Das Wallis mit seinen alpinen Kraftwerkanlagen, die innovative Uhrenindustrie in Neuenburg oder das internationale Genf bieten grossartige Themen für horizonterweiternde Geografiestunden.

In einem landeskundlichen Geschichtsunterricht wird auch das Tessin in den Fokus rücken. Die aufregende Geschichte der Gotthardbahn ist die beste Gelegenheit, um das Ringen der Tessiner um einen wintersicheren Anschluss an die Deutschschweiz zu schildern. Der grosse Aufwand, den es von Akteuren beidseits der Alpen brauchte, um den ersten Gotthardtunnel fertigzustellen, wird bei den Schülern das Bewusstsein für das Zusammenstehen über die Sprachgrenzen festigen. Auch eine Schulreise ins Tessin oder gar ein Klassenlager kann eine enge Verbindung zur südlichen Schweiz schaffen.

Der Ball liegt eindeutig bei der EDK

Das Aussitzen der gegenwärtigen Sprachenkrise durch die EDK hilft niemandem und verursacht sehr viel Frustration. Alle, von den Lehrerverbänden bis hinauf zum Bundesrat, erwarten einen klaren Entscheid der kantonalen Bildungsverantwortlichen zugunsten eines pädagogisch und politisch überzeugenderen Sprachenkonzepts. Verschiedene Vorschläge liegen offen auf dem Tisch, aber sie müssen endlich ernsthaft geprüft werden.

Die NZZ hat die jüngste Pressemitteilung der EDK zum Sprachendebakel scharf kritisiert. Redaktor Sebastian Briellmann wirft der Erziehungsdirektorenkonferenz vor, sie ignoriere die schulische Realität beim frühen Fremdsprachenunterricht. Briellmann spricht offen davon, dass bei einer Fortsetzung der Flickwerk-Sprachenpolitik den Kantonen nur der Austritt aus dem Harmos-Konkordat bleibe. Dieses drohende Szenario müsste der EDK eigentlich genug Ansporn sein, sich zu einem mutigen Entscheid durchzuringen.

Der Bedarf an Schulassistenzen ist stark gestiegen

Wie im Beitrag aus dem Tages-Anzeiger ersichtlich ist, hat die Zahl der Schulassistenzen in der Volksschule stark zugenommen. Manche Klassen sind heute so heterogen, dass die Klassenlehrkräfte froh sind um die Unterstützung dieser pädagogisch nicht ausgebildeten Helfer. Sie leisten meist gute Arbeit, indem sie einzelne Schüler beim Lösen von Aufgaben unterstützen oder allein schon durch ihre Präsenz beruhigend auf zappelige Schüler einwirken können.

Dennoch stellt sich die Frage, weshalb es heute immer mehr zusätzliches Personal in den Klassenzimmern braucht. Wie der Leserbriefschreiber Hans-Peter Köhli eindrücklich schildert, sind oft mehrere Begleitpersonen mit und ohne professionelle Ausbildung in den Schulzimmern tätig. Nicht nur in pädagogischer Hinsicht, auch sonst ist dabei vieles unübersichtlich. Allein schon bei der lohnwirksamen Einordnung des neuen Begleitpersonals existiert ein kaum noch zu durchdringender Dschungel. Auch bei dieser Frage ist die Politik gefordert, endlich Entscheidungen zu treffen und eine gewisse Ordnung ins System zu bringen.

Hanspeter Amstutz