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Newsletter vom 22. 10. 2023

Bildung zur Menschlichkeit bleibt der Kernauftrag der Volksschule

Nicht vergessen:

Am Montag, 6. November 2023 um 19 Uhr,
Vortragsabend mit Allan Guggenbühl
im Glockenhof, Sihlstrasse 33, Zürich

Bildung zur Menschlichkeit bleibt der Kernauftrag der Volksschule

Das furchtbare Kriegsgeschehen im Nahen Osten und in der Ukraine führen uns täglich vor Augen, was Hass und Verblendung unter Menschen anrichten können. Die grauenhaften Bilder vom Überfall der Hamas-Terroristen auf israelische Familien und das Elend im Gazastreifen lassen kaum jemanden unberührt. Unabhängig von der Schuldfrage steht fest, dass in den Konfliktgebieten das Völkerrecht schwer misshandelt und die Menschlichkeit als grosse Verliererin dasteht.

Das aktuelle Weltgeschehen hat für einmal Bildungsfragen in den Medien ganz an den Rand gedrängt. Es war für uns nicht einfach, Ihnen diesmal eine Fülle von Texten der vergangenen zwei Wochen vorzulegen. Doch wir sehen dies als Gelegenheit, angesichts einer krisengeschüttelten Welt den Wert der Bildung zur Menschlichkeit in Erinnerung zu rufen.

Gut geführte Klassengemeinschaften als Ort der Geborgenheit

Aufgefallen ist uns dabei ein aussergewöhnlicher Beitrag im Condorcet-Bildungsblog über die Primarlehrerin und Erziehungsrätin Christine Stähelin. Die Lehrerin führt eine dritte Primarschulklasse mit 22 Kindern in einer Baselstädtischen Schule mit einem hohen Anteil an Fremdsprachigen. Es sind alles andere als ideale Voraussetzungen für einen ruhigen Unterricht. Doch der Lehrerin gelingt es, die Kinder zu konzentriertem Lernen anzuleiten und die Klasse zu einer Gemeinschaft zu formen. Was dabei erstaunt, ist ihr Kommentar zu ihrem eigenen didaktischen Konzept. Sie misst dem Gemeinsamen im Unterricht einen hohen Stellenwert zu. Die Lehrerin sieht in der heutigen Individualisierung des Unterrichts, wo jedes Kind möglichst selbstorganisiert seine Ziele erreichen soll, einen Irrweg. Diese Vereinzelung der Lernprozesse verhindere das Entstehen eines positiven Klassengeists, in welchem Rücksichtnahme gegenüber Schwächeren und ein Gefühl der Geborgenheit ihren festen Platz haben. Die Primarlehrerin will sich nicht auf die Rolle als Begleiterin beschränken. Sie führt ihre Klasse ohne laute Töne, aber mit pädagogischer Festigkeit. Die Schülerinnen und Schüler wissen, welche Werte ihrer Lehrerin am Herzen liegen. Sie schafft so eine Stück Menschlichkeit in einer Welt, die vielerorts aus den Fugen geraten ist.

Um dieses Bewahren der Menschlichkeit geht es auch im Beitrag von Eliane Perret. Die erfahrene Primarlehrerin und Heilpädagogin stellt sich die Frage, welche Wirkung die Schreckensbilder im Fernsehen und in den digitalen Medien auf die Kinder haben. Die Autorin glaubt, dass wir den Kindern in altersgemässer Form Wahrheiten über das Geschehen in Kriegsgebieten zumuten können. Dass Menschen in den Kriegen sterben und Furchtbares dabei geschieht, soll nicht verdrängt werden. Dabei ist es ratsam, nicht bei den Schreckensbildern stehen zu bleiben. Pädagogisch bedeutsam sind vielmehr die Bemühungen von Menschen, welche das Miteinander verschiedener Ethnien unterstützen und auf den Sieg des Guten hoffen.

Brutale digitale Kriegsspiele verhöhnen die Menschenrechte

Eliane Perret legt dabei zu Recht einen Finger auf eine wunde Stelle unserer westlichen Kultur, welche die Menschenrechte und das Völkerrecht auf ihre Fahnen geschrieben hat.

Es geht um den digitalen Schrott, welcher in unzähligen Kriegsspielen und Bilder übelster Art auf digitalen Geräten vieler Jugendlichen zu finden sind. Die Verharmlosung brutalster Gewalt in gewissen Videogames ist eine Entwicklung, welche auch die Politik und die Pädagogik herausfordern. Der Widerspruch, die Menschenwürde in allen zivilisierten Gesellschaften unbedingt zu achten und gleichzeitig menschenverachtende Spiele für die Jugend zuzulassen, ist eklatant. Es liegt auf der Hand, dass in diesem dunklen Bereich grosser Handlungsbedarf besteht.

Wie ein Nebeneinander verschiedener Kulturen in einer Schulklasse auch in politisch unruhigen Zeiten gelingen kann, beschreibt unsere Redaktorin Marianne Wüthrich aus eigener Erfahrung. Ihre Schilderung ist ein ermutigendes Beispiel, dass selbst kriegsgeschädigte Jugendliche imstande sind, bei einer verständnisvollen Lehrerin wieder offen auf ihre Mitschüler aus anderen Kulturkreisen zuzugehen. Dazu braucht es allerdings den Mut, Vorurteile zu überwinden und das klare Ziel, Mitmenschlichkeit und pädagogische Zuversicht an erste Stelle zu setzen.

Mit der Förderklasseninitiative kommt Bewegung in die erstarrte Bildungspolitik

Trotz der vielen Informationen aus den Kriegsgebieten kommen auch bei uns die täglichen Sorgen aus dem Schulalltag weiterhin zur Sprache. So wird uns in einem Bericht aus 20 Minuten deutlich vor Augen geführt, wohin übertriebene Anforderungen eines extrem individualisierten Unterrichts in heterogenen Klassen führen können. Unter dem Druck des vorherrschenden Dogmas vom massgeschneiderten Lernen und der Überfülle an Kompetenzzielen ist vielerorts eine hoch komplizierte Schulorganisation entstanden. Schülerinnen und Schüler arbeiten an unterschiedlichen Lernprogrammen mit individuellen Zielen. Kaum ein Lehrer schafft es noch, ohne Mithilfe einer zweiten Lehrkraft eine Lektion zu gestalten und die Zeit zum Üben kommt dennoch viel zu kurz.

In dieser unpädagogischen Hektik fallen immer mehr Schüler zwischen Stuhl und Bank. Stark auffällige Schüler sind in manchen Klassen zu einem Problem geworden. Es erstaunt deshalb nicht, dass die Lehrpersonen jetzt genug haben von den nicht eingelösten Versprechungen der Bildungspolitiker und laut Abhilfe fordern. Der Start einer Volksinitiative zur Wiedereinführung von Kleinklassen im Kanton Zürich ist deshalb ein starkes Zeichen, dass nun endlich Bewegung in die erstarrten Fronten kommt.

Falls Sie zum Schluss noch etwas streitbare Lektüre mögen, können wir Ihnen einen Beitrag von Daniel Wahl vom Nebelspalter empfehlen. Es geht um ein Lehrmittel für Stadtzürcher Sekundarschulen über angebliche Verwicklungen des Escher-Clans in den Sklavenhandel zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Aufschlussreich ist dabei, auf welch subtile Weise in den Stadtzürcher Schulen ein verzerrtes Bild einer grossen historischen Persönlichkeit den Jugendlichen vermittelt werden soll.

Liebe Leserinnen und Leser, diesmal muten wir Ihnen einiges an schwer verdaulicher Lektüre zu. Wir sehen es jedoch als unsere Aufgabe, die aktuelle Realität in Bildung und Politik in unserem Pressespiegel möglichst wahrheitsgetreu abzubilden.

Für die Redaktion der Starken Volksschule Zürich

Hanspeter Amstutz