Springe zum Inhalt

Newsletter vom 13. 2. 2022

Augen, die nicht sehen und Ohren, die nicht hören wollen

Geschätzte Damen und Herren

«Die Schweiz hat das teuerste Bildungssystem der Welt. Die Lehrer halten die Qualität hoch und trotzen einer ausufernden Bürokratie.» Dieser einleitende Satz von Alain Pichards Artikel fasst das pädagogische «Oh weh!» passend zusammen. Wie so oft – sei es im persönlichen oder gesellschaftlichen Leben – fängt man erst dann an, etwas zu schätzen, nachdem man es verloren hat. In Bezug auf unser Bildungssystem droht dasselbe Szenario. Eigentlich wäre es doch so einfach. Unser Bildungswesen sollte ge­mäss Pichard ein «Lernort sein, der stark mit den Behörden, Eltern und Schülern verbun­den bleibt.» Diese Balance ist mit den unzähligen Bildungsreformen längst aus den Fugen geraten, zum Leidwesen aller.

Für alles eine wissenschaftliche Studie

Dieser Reformwahn will sich allerdings nicht aus der Luft gegriffen, sondern auf wissen­schaftlichen Studien fundiert wissen. Hans-Peter Köhli bringt es in seinem Kommentar gekonnt auf den Punkt: «Es zeigt sich immer dasselbe Bild. Professorinnen div. Univer­sitäten werden nicht müde, auf Grund irgendwelcher Studien vom Erfolg der Integration zu sprechen.» Und Carl Bossard doppelt mit dem Zitat von Wolf Schneider nach: «Der Ausweis der Wissenschaftlichkeit erfolgt durch den Nachweis der Unverständlichkeit.»

Ob sich mit imponierenden Begriffen Sand in die Augen der Lehrer streuen lässt? Ver­su­chen tut man’s, denn an den Pädagogischen Hochschulen sind sie nun zu «Bachelor of Arts in Primary Education» befördert worden. Ja, zu unterrichten muss heutzutage wahr­haf­tig eine Kunst (engl. für «art») sein. Und vermutlich liegt es an den sich überschlagen­den Reformen, dass sich die «Künstler» aus Zeitgründen mit einer Bachelor-Stufe begnügen müssen.

Die Bildung als Menschenrechtler und Klimaretter

Statt dem arg zugesetzten Bildungswesen wenigstens etwas Verschnaufpause zu lassen, geht das Desaster mit welt- und menschenrettenden Ideologien in eine nächste Runde. Da haben wir zum einen das Vorhaben der Stadt-Zürcher Klima-Allianz, zum anderen das Thema «Integration als Menschenrecht». Carl Bossard weist warnend hin: «Mit der Konnotation der Integration und Inklusion als Menschenrecht wird im kommunikativen Handeln ein absoluter Geltungsanspruch erhoben. Das wichtige Postulat der Integration entzieht sich so jedem Diskurs. Dieses Dogmatische irritiert.»

Weiter hält Bossard fest: «Untaugliche, weil holistisch geprägte Integrationskonzepte, bringen viele Schulklassen an ihre Belastungsgrenze. Ein eklatanter, in dieser Form noch nie dagewesener Lehrermangel untergräbt die Unterrichtsqualität.» Seine Erkenntnisse sind nicht neu. Und gerade deshalb bleibt mir nichts anderes übrig, als konsterniert fest­stellen zu müssen, dass unsere Bildungspolitiker Augen haben, die nicht sehen und Ohren, die nicht hören wollen. Auf diese Schlussfolgerung musste ich kürzlich leider selbst mit unseren lokalpolitischen Bemühungen in Wetzikon gelangen. Mit den Berichten zu den Debatten über Integration und Kleinklassen in den Kantonen Nidwalden und Basel-Stadt werden Sie vermutlich zu einer ähnlichen Konklusion gelangen.

Zurück auf welches Feld?

«Dabei ist genau das – ausprobieren, scheitern, neu versuchen – der Kern des Lernens, bei jeder Sprache.» Das gilt laut Förderexpertin Carolin Deiner für Kleinkinder, die kein Deutsch sprechen. Und bei Bildungspolitikern? Im Ausprobieren und Scheitern haben sie längst den «Master of Desaster» erworben, beim «neu versuchen» scheinen sie – eben­falls wie Kleinkinder es tun – leider weiterhin störrisch am zuvor Gescheiterten festzu­halten.

«Je früher, desto besser: So handelte die Schulpolitik in den letzten Jahrzehnten in Sachen Fremdsprachen.» Dieser Leitsatz, den René Donzé in seinem Artikel verwendet, müsste heute für die Schulpolitik wohl in Sachen Rückbesinnung gelten. Für diejenigen, die diesen «Rückschritt» wissenschaftlich bestätigt haben wissen wollen, sei Hans-Peter Köhlis Variante empfohlen: «Weit sinnvoller wäre deshalb eine wissenschaftliche Studie, welche untersuchen würde, weshalb Volk und Politiker dennoch resignieren und in feiger Weise einfach zu- oder wegschauen, statt den Humbug endlich abzustellen.»

Zu alledem obendrauf macht die deutsche Sprache nicht nur Kindern mit Migrationshinter­grund zu schaffen. Doch – Sie können es bestimmt erahnen – anstelle zuerst eine Ursachenanalyse durchzuführen, will der Kanton Baselland kurzerhand die betroffenen Eltern zur sprachlichen Frühförderung ihrer Kinder verpflichten. Auch dieser Hüftschuss wird seine Verletzten fordern und teure «Pflästerlipolitik» nach sich ziehen…

Die Helden an der Front

Im Kommentar Marianne Wüthrichs sehe ich dafür wieder einen Lichtblick fürs Bil­dungs­wesen. Denn in all den stürmischen Gewässern der Bildungspolitik sind die Lehr­personen dennoch in der Lage, «das Schifflein in eine bessere Richtung zu lenken. Das ist ja der Sinn des Lehrerberufes.» Alain Pichard bekräftigt: «Dass all die negativen Auswirkun­gen bisher nicht voll durchgeschlagen haben, ist den meisten der rund 90’000 an der Volks­schule arbeitenden Lehrkräfte zu verdanken. Sie halten wacker stand, unter­laufen die praxisfernen Lehrplanvorgaben und unausgegorenen pädagogischen Konzepte und versuchen das umzusetzen, was der Kommissionspräsident einst meinte: Die Schüler müssen etwas lernen.»

Das macht schlussendlich auch eine gute Schule aus. Eine gute Schule wird zu einer starken Schule. Und genau dafür setzen wir uns ein. In diesem Sinne danke ich Ihnen herzlich für Ihr Interesse an unseren Verein, Ihr Mittragen unseres Anliegens und wünsche Ihnen nun viel Inspiration in dieser doch eher stürmischen Lektüre.

Timotheus Bruderer, Präsident «starke Volksschule Zürich»