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Newsletter vom 16. 1. 2022

Schulen stehen stärker im gesellschaftlichen Brennpunkt

In unseren Schulen wird die Aufrechterhaltung des regulären Schulbetriebs immer schwieriger. Da bei der ohnehin schon knappen Personaldecke viele Lehrpersonen durch Corona-Ansteckungen in Quarantäne sind, werden im Kanton Zürich die letzten Personalreserven mobilisiert. Mancherorts müssen sogar unausgebildete Hilfskräfte eingesetzt werden. Schulleitungen wissen kaum noch, wie sie erkrankte Lehrpersonen ersetzen können. Trotz widrigster Umstände unternehmen die allermeisten Lehrerinnen und Lehrer jedoch alles, den Kindern einen guten Unterricht zu bieten.

Umso unverständlicher ist es, dass es eine kleine Minderheit von Eltern gibt, welche der Lehrerschaft mit heftiger Kritik an den Corona-Massnahmen in den Rücken fällt. Die einen finden den Spucktest eine Zumutung, andere können sich nicht vorstellen, dass ihr Kind eine Maske tragen soll. Sie richten ihre Vorwürfe ganz direkt an die Klassenlehrer und drohen mit Sanktionen aller Art.

In einem eindrücklichen Interview nimmt die Präsidentin der grössten Zürcher Elternvereinigung in unserem ersten Beitrag Stellung zur aktuellen Situation in der Volksschule. Präsidentin Gabriela Kohler kritisiert das Vorgehen militanter Eltern scharf. Sie befürchtet zu Recht, dass die an die falsche Adresse gerichtete Kritik zu einer Abwehrhaltung in der Lehrerschaft führt und künftig eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus erschwert. Ihr Aufruf, in der Krise zusammenzustehen und die Arbeit der Lehrerschaft durch das Mittragen von zweckmässigen Massnahmen zu unterstützen, ist ein starkes Zeichen von gesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein.

Schulen als stabiler Hort in der Coronakrise

Auch der Beitrag von David Briner zur Coronakrise erinnert daran, dass gelebte Solidarität jetzt wichtiger ist als kaum erfüllbare Forderungen an die Schule zu stellen. Die Schule ist für viele Kinder ein Hort der Stabilität im Sturm der Krise. Sie bietet auch unter erschwerten Bedingungen noch immer bessere Bedingungen zum Lernen als ein wenig ergiebiger Fernunterricht und ihre Integrationskraft ist unübertroffen. Mit ihrem mutigen Aufruf zu mehr Gelassenheit in der Krise und mehr Respekt für die Arbeit der Lehrkräfte hat Gabriela Kohler eine beispielhaft klare Haltung eingenommen.

Vielleicht hilft einigen ein Blick in die Geschichte, um unsere Jugend etwas weniger als Opfer restriktiver Massnahmen zu sehen. Carl Bossard, profunder Kenner unseres Schulwesens, erinnert an die furchtbaren Monate des Franzoseneinfalls in Nidwalden im Jahr 1798. Der gescheiterte heldenhafte Aufstand der Zentralschweizer gegen die Besatzungsmacht brachte unermessliches Leid in die Gegend um Stans. In dieser Not wurde Johann Heinrich Pestalozzi nach Stans berufen, um unzählige Waisenkinder zu betreuen. Pestalozzi gelang es, den bis auf die Knochen abgemagerten Kindern zu helfen und ihnen Mut zu machen, Lesen und Schreiben zu lernen. Wer das Elend der damaligen Zeit und die primitiven Mittel für die Gestaltung des Unterrichts vor Augen hat, wird die Not unserer Tage zweifellos etwas relativieren.

Die Frage der Wirksamkeit von Reformen rückt wieder in den Vordergrund

Im Mittelteil unseres Newletters finden Sie einen bemerkenswerten Leserbrief von Armin Tschenett. Der Berufsschullehrer unterstreicht die Bedeutung der Lehrkraft im Unterricht und fordert mehr Investitionen in eine praxisnahe Lehrerbildung. Seine kritische Einstellung gegenüber dem selbstorganisierten Lernen begründet er mit der fehlenden Reife vieler Schüler für diese anspruchsvolle Unterrichtsform.

Wie zentral die direkte Zuwendung von Betreuenden zu den Kindern ist, zeigt ein Bericht über erfolgreiche sprachliche Förderung in den Kitas der Stadt Zürich. Kinder mit rudimentärem Grundwortschatz sollen durch ausgebildete Betreuerinnen möglichst in Gespräche verwickelt werden und in einem lebendigen Dialog Deutsch lernen.

Manchmal hilft auch ein Blick über unsere Grenzen hinaus, um sich ein Bild über fragwürdige Schulreformen machen zu können. Lange Zeit galt Schwedens Bildungspolitik als vorbildlich in Europa. Doch die Ergebnisse der PISA-Tests stellten den staatlichen Reformschulen in Schweden kein sehr gutes Zeugnis aus. Besser schnitten die durch Bildungsgutscheine unterstützten leistungsorientierten Privatschulen ab. Dies hat zur Folge, dass viele Privatschulen nun von Anmeldungen überhäuft werden und ihre Aufnahmekriterien verschärft haben. Dadurch funktioniert der erhoffte offene Wettbewerb zwischen den Schulen nicht mehr. Wie der spannende Bericht zeigt, ist zurzeit eine heftige Diskussion über Schwedens Schulen im Gang.

Einen treffenden Kommentar zur Entwicklung in Schweden hat Bildungsfachmann Hans-Peter Köhli verfasst. In seinem Leserbrief zieht er Vergleiche zum Lehrplan 21 und hofft, dass der Bericht aus Schweden auch unseren Politikern die Augen öffnet.

Sonderpädagogische Konzepte auf dem Prüfstand

Im dritten Themenblock geht es um den chronischen Mangel an therapeutischen Fachleuten und die Frage, ob die Integration an unserer Volksschule gescheitert sei. Tatsache ist, dass der Bedarf an Logopädinnen und Heilpädagogen ständig steigt und nicht mehr abgedeckt werden kann. Die Forderung nach personeller Aufstockung liegt auf der Hand. Doch die starke Zunahme der Therapiefälle wäre eigentlich Grund genug, den Ursachen dieser Entwicklung endlich nachzugehen.

In seinem Buch über die schulische Integration setzt sich Beat Kissling kritisch mit den aktuellen Förderkonzepten auseinander. Der praxiserprobte Autor schafft es, die heilpädagogische Arbeit weiter zu fassen und grundsätzliche Fragen zum Lernen aufzugreifen. Wesentliche Erkenntnisse aus der Heilpädagogik sollen ins „normale“ schulische Lernen einfliessen. Eliane Perret empfiehlt uns das Buch wärmstens, da der Autor frei von ideologischen Fixierungen in der Sonderpädagogik ist und das Einfühlen, Verstehen und Motivieren als zentrale Aufgabe der Lehrpersonen sieht.

Die Texte haben es in sich. Das führt ein wenig zur Qual der Wahl. Aber Sie werden auf jeden Fall in wichtigen bildungspolitischen Fragen auf Ihre Rechnung kommen.

Für die Redaktion Starke Volksschule Zürich

Hanspeter Amstutz