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Newsletter vom 5. 12. 2021

Motivieren, ermutigen und gezielt fördern

Vielleicht haben Sie sich auch schon gefragt, weshalb Spitzensportler wie Roger Federer oder Dario Cologna in ihrer Laufbahn ihre Trainerinnen oder Trainer mit grösster Sorgfalt ausgewählt haben. Offenbar spielt es auch für Ausnahmekönner eine grosse Rolle, wer den Trainingsplan ausarbeitet und die Wettkampfstrategie mit dem Athleten bespricht. Anerkannte Trainer verfügen neben ihrem sportlichen Fachwissen über sehr viel psychologisches Fingerspitzengefühl und sind ausgezeichnete Motivatoren. Sie überlegen sich genau, wie die Stärken des Athleten ausgebaut und wo allenfalls Mängel behoben werden sollen.

Erfolgstrainer wissen, dass sie mit dem betreuten Sportler im gleichen Boot sitzen, aber unterschiedliche Aufgaben haben. Dieses Vertrauensverhältnis ist zentral. Während der eine bei den Trainings schwitzt, analysiert der andere die Bewegungsabläufe und ist danach imstand, genau die richtigen Schlüsse für entscheidende Optimierungen zu ziehen. Der Trainer weiss aber auch, wie wichtig es ist, den Athleten auf die gemachten Fortschritte hinzuweisen und ihn so zu ermutigen.

Ermutigende Strenge und richtiges Lob sind hoch wirksam

Ich bin mir nicht sicher, ob in der Lehrerbildung die Kunst der Motivation im Unterricht in ihrer vollen Bedeutung erkannt wird. Gemeint ist dabei nicht vorschnelles Loben bei jeder Gelegenheit. Vielmehr denke ich an ermutigende Impulse in wichtigen Phasen eines Lernprozesses. Lehrerinnen und der Lehrer können Zuversicht ausstrahlen, indem sie mit unerschütterlicher Haltung und wenigen Worten den Schülern zu verstehen geben, dass alle den geforderten Schritt schaffen werden. Diese fördernde Strenge ist nicht lähmend, denn sie setzt Ziele und dreht sich nicht primär um Defizite. Die notwendige Spannung in einem sportlich gestalteten Übungsprozess löst sich immer wieder, wenn die Freude über den erreichten Erfolg sich in einem Lob ausdrückt. Anerkennende Worte im Klassenverband im richtigen Moment oder ein positiver Lehrerkommentar zu einem Aufsatz können beflügelnd wirken, wenn sie zum Aufbruch zu neuen Zielen ermutigen.

Im Vergleich dazu kommt einem das standardisierte Loben bei den aktuellen Computerprogrammen ziemlich armselig vor. «Well done» und «great» einer Computerstimme am Schluss einer digitalen Übungssequenz nützen sich bald einmal ab, wenn man es zum hundertsten Mal gehört hat. Das Beste sind allenfalls individuell zugeschnittene Lernprogramme, welche einem Schüler eine faire Chance bieten, mit guten Punktzahlen zu Erfolgserlebnissen zu kommen. Doch eine starke Motivation, wie sie von einer erwartungsfrohen Lehrperson ausgeht, wird so trotzdem kaum erreicht.

Wenn Sie das Thema des richtigen Lobens und Ermutigens anspricht, kann ich Ihnen den anspruchsvollen Beitrag von Carl Bossard sehr empfehlen. Der Autor erinnert daran, dass geeigneten Rückmeldungen innerhalb eines Lernprozesses eine hohe Wirksamkeit attestiert wird.

Sind wirklich die richtigen Schülerinnen und Schüler in den Gymnasien?

Der zweite Schwerpunkt unseres Newsletters befasst sich mit der Frage, wieweit der Zugang zu den Gymnasien gerechter geregelt werden könnte. Das Thema ist ein Dauerbrenner und wird regelmässig in den Zeitungen abgehandelt, wenn wieder Gymiprüfungen anstehen. Der vorliegende Beitrag der ETH-Bildungsforscherin Elisabeth Stern ist nicht auf die Tagesaktualität ausgerichtet, sondern grundsätzlicher Natur. Die Forscherin wagt die Aussage, dass heute rund 30 Prozent der Schüler an den Gymnasien mit den schulischen Anforderungen überfordert seien und nur dank teuren Vorbereitungskursen die Aufnahmeprüfung bestanden hätten. Sie findet, dass die Auswahl der intelligentesten Schüler der Volksschule infolge der Kurse stark verzerrt sei und in Grenzfällen ein Intelligenztest eine Entscheidungshilfe bieten müsste.

Zweifellos gibt es einen massiven Druck in breiten Kreisen, dass Kinder unbedingt das Gymnasium besuchen sollten. Dies gilt besonders für ausländische Akademikerfamilien, welche unseren ausgezeichneten alternativen Ausbildungswegen über die Berufsmaturität zu wenig Vertrauen entgegenbringen. In Unkenntnis über die echte Durchlässigkeit unseres Bildungssystems und die späteren beruflichen Chancen findet oft ein für Jugendliche schädliches Pushen Richtung Gymnasium statt. Solange diese unzutreffenden Vorstellungen weit verbreitet sind, wird der Streit um ein besseres Aufnahmeverfahren weiter andauern.

Ob allerdings ein Intelligenztest die bessere Lösung für eine gerechtere Schülerauswahl ist, wage ich zu bezweifeln. Es ist ja nicht so, dass die Volksschule bei den Fördermassnahmen im Hinblick aufs Gymnasium überhaupt nichts unternimmt.  Manche Schulen bieten kostenlose Vorbereitungskurse an, die sich durchaus mit den privaten Kursen vergleichen lassen können. Nur sind die Angebote im Kanton völlig unterschiedlich und meist von der Initiative der lokalen Lehrerschaft abhängig. Vielleicht aber wiegt noch schwerer, dass durch die zunehmende Heterogenität und die offenen Lernformen in manchen Volksschulklassen das nötige Leistungsniveau nicht mehr erreicht wird.

Alle Schülerinnen und Schüler verdienen es, dass ihr Potenzial ausgeschöpft wird

Die weiteren Beiträge unseres Newsletters haben alle mit der Frage der Chancengerechtigkeit von Bildungssystemen zu tun. In drei Berichten geht es um Projekte zur besseren Ausschöpfung des Potenzials von Kindern mit Migrationshintergrund, um die Unterstützung bildungsferner Eltern in der Frühphase der Erziehung. Grundsätzlich begrüsse ich diese Bemühungen sehr, solange sie nicht einseitig auf einen Bildungsweg zum Gymnasium hin ausgerichtet sind. Es wäre sicher kein Gewinn für die Volksschule, wenn die gezielte Förderung des breiten schulischen Mittelfelds durch eine verengte Optik ins Hintertreffen geraten würde.

Auch die in zwei Texten diskutierte Bubenförderung und die schulische Digitalisierung gilt es bezüglich der Chancengerechtigkeit genau im Auge zu behalten. Schon fast als paradiesisch kann man unser Schulsystem jedoch bezeichnen, wenn man es mit China vergleicht. Was in diesem totalitären Staat unter Eliteförderung verstanden wird, zeigt ein erschütternder Bericht eines Pekinger Korrespondenten.

Für spannende Lektüre ist gesorgt. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen.

Redaktion Starke Volksschule Zürich

Hanspeter Amstutz