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Newsletter vom 10.5.2020

Vor der Öffnung der Schulen

Nach mehreren Wochen Fernunterricht und einem grossen Einsatz der Lehrerschaft sollen die Schulen nun wieder vorsichtig geöffnet werden. Das ist für alle Beteiligten nicht einfach: für die kantonalen und kommunalen Bildungsbehörden, für die Schulleitungen, die Lehrer, die Kinder und nicht zuletzt für die Eltern. Alle wünschen sich, dass es in Wirtschaft und Gesellschaft, und eben auch in der Schule, endlich wieder «normal» weitergehen soll. Aber die Gefahr der Pandemie ist noch nicht gebannt, da braucht es weiterhin die Kräfte und die Geduld aller, um mit Besonnenheit und auch einer Portion Kreativität den täglichen Unterricht mit den Kindern und Jugendlichen neu einzurichten und zum Laufen zu bringen.

Digitalisierte Schule und SOL erweisen sich einmal mehr als untauglich

Zwei Dinge liegen nach der Zeit des Fernunterrichts sonnenklar auf dem Tisch: Die digitalisierte Schule vermag die Grundlagen einer menschenwürdigen Bildung nicht zu legen, und das selbstorganisierte Lernen SOL bringt nur einen Bruchteil des Lernerfolgs, auf den unsere Schülerinnen und Schüler einen Rechtsanspruch haben. Zur Erinnerung: Das Grundrecht auf Bildung ist zwingendes Völkerrecht.

Selbstverständlich sind digitale Hilfsmittel auch für den Fernunterricht sehr willkommen und sinnvoll, wir sind ja keine Radikal-Ablehner der modernen Technik. Aber für uns Mitstreiter der «Starken Volksschule Zürich» und die vielen anderen eigenständigen Denker im Land und weit darüber hinaus sind die genannten Erkenntnisse wahrhaftig nichts Neues, wie Carl Bossard, Mathias Burchardt, Hanspeter Amstutz und weitere Autoren in diesem Newsletter festhalten. «Die Entzauberung eines Mythos», nämlich die Digitalisierung werde die allseits bekannte Mangelhaftigkeit der heutigen Schulbildung schon richten, formuliert Christian Bauer von der deutschen «Gesellschaft für Bildung und Wissen» (GBW) so: «Dem Digitalnarrativ zu Grunde liegt ein fundamentales Unverständnis des Lehr-Lern-Prozesses und der Lehrer-Schüler-Beziehung. Dieses Unverständnis wiederum geht einher mit der der Digitalisierung inhärenten Reduktion eines äußerst komplexen Gefüges auf binäre Bausteinchen.» Oder in zusammenfassender Kurzform: «Dialogisches vor Digitalem!» (Carl Bossard).

Es ist eine erfreuliche Nebenwirkung der unerfreulichen Pandemie, dass durch den Fernunterricht auch andere Bildungsexponenten zu dieser Erkenntnis gelangt sind. Sogar die «Universität braucht Präsenz», stellt HSG-Rektor Bernhard Ehrenzeller fest. Zwar können gute Lerner einen grossen Teil des Uni-Studiums ohne weiteres im Home-Office bewältigen, aber der direkte Wissenserwerb und das Wälzen von Fragen und Meinungen in der Beziehung zu den Dozenten sowie der persönliche Kontakt und Austausch mit den Mitstudenten sind «entscheidend für den Lernerfolg», so der HSG-Rektor, was die Autorin dieses Vorworts aus eigener Erfahrung bestätigen kann.

Ein grosses Danke an unsere Lehrerinnen und Lehrer!

Denn sie haben in der höchst anspruchsvollen Phase des Fernunterrichts enormen Einsatz geleistet. Das tun sie auch in normalen Zeiten, aber für die Bewältigung der vielen völlig neuartigen Zusatzprobleme gebührt ihnen der besondere Dank von uns allen. Was an Lernfortschritten im Fernunterricht erreicht werden konnte, ist – neben der Mithilfe vieler Eltern – vor allem dem Engagement und der Kreativität der Lehrer zu verdanken, womit sie den Beziehungsfaden zu jedem einzelnen Schüler aufrechterhalten haben, mit Video-Lektionen, persönlichem Feed-back per E-Mail und am Telefon, mit Briefchen oder sogar mit einer Velo-Runde zu den Wohnungstüren der Kinder und ihrer Familien vor den Frühlingsferien.

Leider wird nun die Rückkehr der Kinder und Jugendlichen in die Schule nicht die Wiederaufnahme des gewohnten Unterrichts bedeuten. Die Pandemie-bedingte vorsichtige Öffnung der Schule wird der Lehrerschaft – und den Eltern – weiterhin viele Steine in den Weg legen.

Nach vorne schauen und das Wesentliche ins Zentrum stellen

Es ist sehr verständlich, dass sich die Lehrer in den einen Kantonen darüber ärgern, dass sie nun mit Halbklassen kutschieren sollen, und in den anderen, dass sie mit Ganzklassen und den entsprechend strengeren Abstands- und Hygienemassnahmen zurechtkommen müssen. Aber, und das ist meine persönliche Meinung, der Ruf nach einheitlichen Vorschriften ist nicht zielführend. Soll denn das BAG oder gar die EDK – gegen deren autokratisches Hinweggehen über die Bildungshoheit der Kantone wir uns jahrelang zur Wehr gesetzt haben – bestimmen, wie die Schulen unter den erschwerten Bedingungen zu führen sind?

Wäre es jetzt nicht sinnvoller, nach vorne zu schauen und unsere Anstrengungen, soweit es eben geht, auf das Wesentliche auszurichten? Wie kann die Lehrerin die persönliche Beziehung zu ihren Schülern – in den zwei halben oder in der ganzen Klasse – wieder so festigen, dass in sieben oder acht Wochen bis zu den Sommerferien eine ganze Menge gelernt werden kann?

Wie wird man hochschulreif?

Ein letztes Wort zur merkwürdigen Idee einiger kantonaler Behörden, die Maturaprüfungen zu streichen, mit dem Argument, es hätten nicht alle Schüler zu Hause gleich gute Lernbedingungen gehabt. Wenn jemand fähig sein muss, sich einige Wochen lang selbständig auf Prüfungen vorzubereiten, sind das Maturanden. Dazu gehört auch, dass sie sich eigenständig Hilfe holen können, bei Lehrern, Mitschülern, bei wem auch immer. Denn das Maturazeugnis bestätigt die Hochschulreife der künftigen Studenten (maturus = reif), also die Fähigkeit, die Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen. Von Primarschülern darf man kein SOL einfordern, von Uni-Studenten aber sehr wohl. Dass nun einige Maturanden in anderen Kantonen auch keine Prüfungen wollen, ja sogar verlangen, dass sie selbst bestimmen dürfen, ob sie Prüfungen wollen oder nicht, zeigt, was für einen Bärendienst die zuständigen Berner und Zürcher Behörden unserer Gymi-Jugend erwiesen haben. Zum Glück gibt's den Bildungs-Föderalismus!

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre.

Für die Redaktion Starke Volksschule Zürich

Marianne Wüthrich

Inhalt

  • Vor der Öffnung der Schulen
    8.5.2020, Marianne Wüthrich
  • Dialogisches vor Digitalem!
    Journal21 4.5.2020, Carl Bossard
  • Im Präsenzunterricht zeigt sich die Schulqualität
    4.5.2020, Hanspeter Amstutz
  • Die Universität braucht Präsenz 
    Galler Tagblatt 5.5.2020
  • Hurra, es ist wieder Schule! So war der Fernunterricht - und das sagen Schüler
    Schweiz am Wochenende, 9.5.2020, von Kari Kälin - CH Media
  • Jede Klasse hat eine eigene Toilette
    NZZ am Sonntag, 26.4.2020, Niels Anner, Kopenhagen
  • «Oberste Priorität hat für uns, dass alle Kinder sicher sind»
    NZZ 6.5.2020, Front, Nils Pfändler, Erich Aschwanden
  • «Diese Teilöffnung auch als Chance betrachten»
    Tages-Anzeiger 5.5.2020, Zürich, Tina Fassbind
  • Lieber Halbklassen als Masken
    Tages-Anzeiger 5.5.2020, Zürich, Tina Fassbind und Mario Stäuble
  • Wissenschaftler empfahlen kleine Schulklassen
    Blick 3.5.2020, Lukas Lippert und Tobias Marti
  • «Wir werden als Versuchskaninchen missbraucht»
    20Minuten 1.5.2020, Joel Probst
  • Maturaprüfungen
    NZZ 4.5.2020, Meinung & Debatte, Leserbriefe
  • Die Entzauberung eines Mythos
    GBW 2.5.2020, Gastbeitrag von Christian Bauer, München
  • Die Lehren aus der Leere
    Süddeutsche Zeitung 27.4.2020, Gastbeitrag von Wolfgang Schimpf
  • US-Techgiganten buhlen um Schweizer Schüler
    Sonntagszeitung 3.5.2020, Rico Bandle
  • So funktioniert Journalismus nicht – Medienvertretern fehlt die Sachkompetenz
    Condorcet Bildungsblog, 29. April 2020, Gastbeitrag Mathias Burchardt