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Newsletter vom 5.1.2020

Vorwort

Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern ein gutes neues Jahr!

Der Verein «Starke Volksschule Zürich» wird sich auch 2020 nach Kräften für eine Volksschule und für ein Bildungsverständnis einsetzen, die unserer Jugend eine menschenwürdige Bildung ermöglichen.

An Weihnachten im Kreis meiner Familie haben die Kinder, die in einem kleineren Ort auf dem Land zur Schule gehen, erzählt. Der Zweitsek-Schüler, ein aufgeweckter und interessierter Jugendlicher, wendet sich mit seinen Unklarheiten im Gebrauch der französischen Zeitformen an seine Mutter. Diese entschuldigt sich fast dafür, dass sie nicht mehr ganz sattelfest ist – als ob dies ihre Aufgabe wäre. Würde der Franz-Lehrer den Gebrauch der Zeiten im Klassenunterricht mit seinen Schülern erarbeiten und ihre Übungen korrigieren, könnten diese ihre Fragen in der Schule klären. – Die jüngere Schwester berichtet, bereits in ihrer 2. Primarklasse sei es oft so laut, dass die Kinder Kopfhörer benutzen dürften. Die Eltern sind bestürzt, dies zu hören, sie wussten nichts davon. Dürfte die Lehrerin unterrichten statt coachen – in der Unterstufe eine zwingende Voraussetzung für den Aufbau der Grundlagen – wären keine Kopfhörer nötig.

Die Nöte von Schülern, Eltern und Lehrern sowie deren Ursachen und mögliche Verbesserungen werden uns auch in diesem Jahr beschäftigen, und wir beginnen gleich damit.

Kritische Gesamtschau von LVB-Präsident Roger von Wartburg…

In seiner kritischen Gesamtschau zu den Schulreformen der letzten zwei Jahrzehnte im Kanton Baselland (gilt auch anderswo!) lässt Roger von Wartburg nichts aus. Vom immer früheren Schuleintritt nicht schulreifer Kleinkinder über den gescheiterten Fremdsprachenunterricht in der Primarschule kommt er zur Katastrophe, die der Lehrplan 21 unter unseren Lehrern und Schülern anrichtet: mit seinem nicht zu bewältigenden Wust an zusammenhangslosen Inhalten, den alleingelassenen Kindern, die mit dem «endlosen und stumpfsinnigen Ausfüllen von Blättern», mit dem «selbstorganisierten» Abhaken von Kompetenzrastern und mit dem Anklicken häufig nicht verstandener Testfragen beschäftigt werden. Es folgt die Kritik an der integrativen Schulung, die längst gescheitert ist, weil sie weder den Kräften der Lehrer noch den Bedürfnissen der Kinder gerecht werden kann, und schliesslich nimmt von Wartburg die Pädagogischen Hochschulen aufs Korn. Es lohnt sich, den ganzen Artikel zu lesen, werden doch darin viele Fakten der weitgehend verfehlten Schulreformen, die uns Eltern, Lehrer und andere wache Bürger seit Jahren umtreiben, zu einem Ganzen zusammengefügt.

…versus Klischees und Märchen von LCH-Präsidentin Dagmar Rösler

Nach dieser präzisen Analyse staunt man schon ein wenig über die Plattitüden der neuen LCH-Präsidentin im Interview, das wir in voller Länge abdrucken, damit sich jede Leserin selbst ein Bild machen kann. Zum Beispiel, das Smartphone sei in der Primarschule «kein grosses Thema». Dem folgt eine abschätzige Bemerkung über Lehrer, die «mit der ganzen Digitalisierung am liebsten nichts am Hut haben möchten» – aus welchen ernstzunehmenden Gründen zahlreiche pädagogische und IT-Fachleute vom Computer im Kindergarten und in der Primarschule dringend abraten, verschweigt die Dame. Die schwerwiegenden Defizite eines grossen Teils der Schweizer Jugendlichen in der deutschen Sprache wischt Frau Rösler mit der Erklärung zur Seite, das seien vor allem fremdsprachige Kinder aus bildungsfernem Milieu, deren Eltern nicht Deutsch könnten. Offenbar hat sie noch nie von den besorgten Gymilehrern, ja sogar Universitätsdozenten gehört, deren einheimische Schüler und Studenten zum Teil keinen richtigen deutschen Satz zusammenbringen. Entsprechend eingleisig fordert Rösler sprachliche Frühförderung «im Alter von einem bis vier Jahren»! – Als ob neun Schuljahre plus zwei Jahre Chindsgi nicht genügen würden, um allen Kindern deutsch beizubringen, wenn die Lehrerin sie nicht allein vor ihrem Blatt oder ihrem Tablet sitzen lässt, sondern mit ihnen liest, schreibt, diskutiert, Geschichten erzählt, Grammatik und Rechtschreibung übt und ihnen die Freude am Lesen und Schreiben hinüberbringt.

Auf die Frage der Interviewerin, ob die Einführung des integrativen Schulmodells ein Fehler gewesen sei, erklärt Rösler: «Das integrative Schulmodell ist aus unserer Sicht der richtige Weg.» Allerdings gibt sie dann ungeniert zu, die Idee der Politiker, es sei billiger, wenn alle Schüler in die Regelschule gingen, habe «so nicht funktioniert».

Zu den Frühfremdsprachen: «Es war schon immer so, dass Lehrer auf der nächsthöheren Stufe moniert haben, die Schülerinnen und Schüler, die zu ihnen kämen, seien schlechter als früher.» Es folgt eine weitere Phrase: «Wir sind langsam, aber sicher auf einem guten Weg.»

Nach diesen Müsterchen aus der LCH-Führungsetage wundert es keinen, dass als nächste Glanzidee die Abschaffung der Noten bis zur 6. Klasse(!) auf den Tisch kommt. Damit noch mehr Eltern ihre Jugendlichen in der Oberstufe in eine Privatschule oder ums Verrode ins Gymi schicken wollen? So schafft und festigt man willentlich eine Zweiklassenschule.

Auftanken bei Carl Bossard

Erholen wir uns schliesslich ein wenig mit Hilfe der tiefgreifenden Betrachtung von Carl Bossard am Anfang unserer Sammlung, unter dem Titel «Kinder brauchen Geschichten»: «Erzählen und Reimen, das darf jeder; dazu bedarf es keiner akademischer Weihen und keines staatlichen Diploms. Man muss sich nur einladen, ja verführen lassen von Kinderaugen.» Mit Vorlesen, Erzählen und gemeinsamem Lesen, da schliessen wir uns Carl Bossard an, könnten wir Erwachsenen mit Sicherheit die Lesefreude bei unserer Jugend wieder mehr legen. Und gleichzeitig deren geistige Auseinandersetzung mit den Menschen, den Dingen und der Welt wecken. Denn, so Carl Bossard: «Lesen ist eine geistige Tätigkeit. Lesen ist zergliedern und aufbauen. Lesen ist nicht möglich ohne Denken und Mitdenken.»

In diesem Sinne laden wir Sie gerne ein, den Weg zu einer guten Bildung für unsere Jugend mit uns zusammen auch in diesem Jahr weiter zu beschreiten. Sicher gibt es viele Eltern, Lehrer und andere Interessierte, die sich uns gerne anschliessen werden.

Für das Redaktionsteam:

Marianne Wüthrich

Inhalt

  • Vorwort
  • Kinder brauchen Geschichten
    Journal21, 27.12.2019 von Carl Bossard
  • Zusammen das Lernen und die Welt entdecken
    Galler Tagblatt vom 21.12.2019, Forum, Leserbrief von Dr. iur. Marianne Wüthrich
  • Der Pisa-Test – einmal anders gelesen
    Galler Tagblatt 27.12.2019, Meinung, Gastkommentar von Afra Sturm
  • Widersprüchliche Entscheide, fragwürdige Entwicklungen – Warum das ÜGK-Fiasko nicht nur Zufall ist
    Lvb inform Dezember 2019, Von Roger von Wartburg
  • Schulprobleme für den ZO/AvU immer noch tabu?
    Zürcher Oberländer, 3.1.2020, Leserbrief von Timotheus Bruderer
  • «Für manche Kinder ist Gamen der Lebensinhalt»
    NZZ 28.12.2019, Schweiz, Interview mit Dagmar Rösler von Daniel Gerny und Erich Aschwanden
  • Lehrer stellen Noten infrage
    NZZ am Sonntag 29.12.2019, Schweiz, René Donzé
  • Pädagogischer Solutionismus: Wie private Firmen die Bildung übernehmen
    Lvb inform Dezember 2019, Gastbeitrag von Yannick Schmid, Primarlehrer und Masterstudent
  • Veranstaltungshinweise
    14. Januar 2020, Bildungspolitik auf dem Holzweg
    19. Februar 2020, Ist neu immer besser?
    25. März 2020, Der schiefe Turm von Pisa – Schüler und Lehrer im (Test-)Stress