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Newsletter vom 18.8.2019

Verdrängter Lehrermangel, Pädagogik für Buben und eine Koalition der pädagogischen Vernunft

18.8.2019 Hanspeter Amstutz

Der Auftakt ins neue Schuljahr ist verwirrend. Die Bildungsdirektionen melden, dass fast alle Stellen in den Schulen besetzt seien, während die Lehrerverbände höchst unbequemeFragen zur Qualifikation der in letzter Minute gefundenen Lehrpersonen stellen.

Sind die Buben die Verlierer in unserem Schulsystem? Das zu fragen, war bisher fast ein pädagogisches Sakrileg. Die aufgeflammte Diskussion um Qualität und Art des Unterrichts zeigt einmal mehr, dass mit der viel gepriesenen Bildungssteuerung allein noch nicht viel erreicht wurde. Tonangebende Bildungspolitiker verstehen es zwar ausgezeichnet, verlockende Bildungsziele zu formulieren und hohe Erwartungen zu wecken. Doch bei der Umsetzung hapert es bedenklich. Was nützt es, wenn umfassende Bildungsprogramme festgelegt werden, wenn dafür Zeit und qualifiziertes Personal fehlen?

Lehrer beanspruchen mehr Gestaltungsfreiraum

Was es heisst, eine prägende Lehrerpersönlichkeit zu sein, beschreibt Carl Bossard in seinem grossartigen Beitrag über die Wirkung des pädagogischen Tuns. Nicht detaillierte Bildungssteuerung ist der Weg zum Schulerfolg, sondern das umfassende Engagement von Lehrerinnen und Lehrern, die wissen, welche Art des Unterrichtens bei ihren Schülern ankommt. Dafür muss die Bildungspolitik bereit sein, dem Lehrerberuf wieder deutlich mehr unternehmerische Freiheiten und Verantwortungzu übertragen.

Der Lehrermangel müsste Anlass sein, um den Ursachen der unerfreulichen Situation endlich auf den Grund zu gehen. Die Baustellen mit den ungelösten Problemen sind bestens bekannt. Doch vielen Bildungsverantwortlichen fehlt der Mut zu einer ehrlichen Analyse, zum Abbrechen gescheiterter Reformen und zum Anpacken pragmatischer Lösungen. Wertschätzende Worte über die Arbeit der Lehrpersonen allein reichen längst nicht mehr, um dem Lehrerberuf wieder zu mehr Attraktivität zu verhelfen. Ohne bessere Rahmenbedingungen und mehr Gestaltungsfreiheit wird es kaum gelingen, die vielen fehlenden Männer wieder für den Lehrerberuf zu gewinnen.

Ein Experte fasst ein heisses Eisen an

Dass Buben in unserem Schulsystem die Verlierer sind, wurde bisher nur hinter vorgehaltener Hand in Lehrerkreisen kritisiert. Doch nun kommt mit Allan Guggenbühl ein anerkannter Experte, der genau diese These den Schulreformern unter die Nase reibt. Sein gut begründeter Vorwurf lautet, dass mit der Sprachenlastigkeit und einer in manchen Klassen etwas feminin geprägten Pädagogik die Buben verunsichert würden. Buben möchten wissen, was gilt und wo es Spannendes zu erleben gibt.

Es braucht einigen Mut, eine These von den Buben als Schulverlierer zu vertreten. Wer dies tut, riskiert in den Topf der Ewiggestrigen geworfen zu werden. Jahrzehntelang haben fortschrittliche Kreise für die Gleichberechtigung der Mädchen in der Volksschule gekämpft. So wurden noch bis in die Neunzigerjahre Mädchen in einigen Kantonen vom geometrisch Zeichnen ausgeschlossen und gewisse Berufe galten für sie als tabu. Auch war es ein zäher Kampf, bis für alle talentierten Mädchen der Weg in die Mittelschulen ohne dümmliche Vorurteile offen war.

Und jetzt sollen die Buben zu kurz kommen? Abgesehen von den Zahlen, die klar aufzeigen, dass heute deutlich mehr Mädchen als Knaben eine gymnasiale Matur absolvieren, ist die Beweisführung für die spannungsgeladene These nicht einfach. Dass die Veränderungen im Schulstil, bei den Bildungsinhalten und pädagogische Idealen vielen Knaben weniger entsprechen als den Mädchen, ist aber kaum zu übersehen. Buben hinken im Primarschulalter in der sprachlichen und sozialen Entwicklung tendenziell den Mädchen hintennach. Die meisten Buben wollen nicht selbstorganisiert lernen, sondern schätzen es, wenn in einem attraktiven Frontalunterricht der Lehrer wirklich etwas bietet.

Aufbruch zu einer Koalition der pädagogischen Vernunft

Die Diskussion um die Bubenpädagogik und die Lehrerrolle bietet die Chance,von einengenden pädagogischen Dogmen Abschied zu nehmen und die Frage der pädagogischen Wirkung ins Zentrum zu stellen. Starke Volksschule St. Gallen und Starke Volksschule Zürich setzen sich dafür ein, dass die brennenden Themen aufgegriffen werden.

Seit einem Vierteljahr gibt es jetzt mit dem „Bildungsblog Condorcet“einen schweizweit organisierten Verein, der mit aktuellen Beiträgen das Schulgeschehen kommentiert. Der neue Blog sucht den Dialog mit den Leserinnen und Lesern und will die bestehenden Organisationen besser vernetzen. Im kommenden Schuljahr finden Sie deshalb unseren Zürcher Bildungs-Newsletters zusätzlich auf der Homepage des Condorcet-Blogs regelmässig aufgeschaltet.

Wer will, kann auch unter condorcet.ch direkt seine Adresse angeben und eine Gratiszustellung aller Blog-Beiträge abonnieren.

Zum Schulstart enthält unser Newsletter neben den beiden Hauptthemen einen ganzen Strauss von spannenden Beiträgen.  Schauen Sie sich im Inhaltsverzeichnis um. Sie werden ganz bestimmt einige Texte finde, die Sie ansprechen. Viel Vergnügen bei der Lektüre!

Für die Redaktion von «Starke Volksschule Zürich»

Hanspeter Amstutz

Inhalt

  • Verdrängter Lehrermangel, Pädagogik für Buben und eine Koalition der pädagogischen Vernunft
    8.2019, Hanspeter Amstutz
  • Wer pädagogisch führt, muss wirken wollen
    Condorcet.ch, 4. August 2019, von Carl Bossard
  • Schulbeginn: 29 Lehrerstellen sind noch offen
    Tages-Anzeiger 13.8.2019, Zürich, Daniel Schneebeli
  • Zu viele Theoretiker sind am Werk
    Zürichsee-Zeitung 18.7.2019, Leserbrief von Thomas Bächinger, Sekundarlehrer, Oberrieden
  • Rekord: Tausende Hilfslehrer erobern die Klassenzimmer – doch nützt das dem Unterricht?
    CH Media 11.8.2019, Bildung, von Yannick Nock
  • Vor dem neuen Schuljahr warnen Experten: Die Schule ist bubenfeindlich
    CH Media 10.8.2019, von Yannick Nock
  • Väter, engagiert euch auch in der Schule
    Zürcher Oberländer, 14.8.2019, Klartext, Beatrice Zogg, Produzentin
  • Schule: Männer an vorderster Front benötigt
    8.2019, Leserbrief, Timotheus Bruderer
  • Die Primarschule prüft, ihr Schulsystem zu vereinheitlichen
    Zürichsee-Zeitung 13.8.2019, Region, Daniel Hitz
  • Revolution der Bildungssysteme
    Zürichsee-Zeitung 15.8.2019, Leserbrief zur Ausgabe vom 13.8. Clarita Kunz, Feldmeilen
  • Lehrpersonen am Spielfeldrand
    Tagblatt der Stadt Zürich, 7.8.2019, Leserbriefe, Hans-Peter Köhli
  • Der Hype ums Gymnasium bedroht unser Bildungssystem
    NZZ am Sonntag 11.8.2019, Meinungen, Gastkolumne Caspar Hirschi
  • Warum besonders nicht immer besser ist
    Tages-Anzeiger 16.7.2019, Mamablog, Nils Pickert Freischaffender Journalist
  • Veranstaltungshinweise
    September: Rauchen, Kiffen und Dampfen – zwischen Verbieten und legalisieren
    27.September: Braucht es wieder Kleinklassen?
    Informations- und Diskussionsanlass des Vereins «Starke Volksschule Zürich